Volkstanz-Tunier in Neufahrn:Die Champions League der Schuhplattler

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Bei den Veiglberglern in Neufahrn ist am Wochenende um den Bayerischen Löwen getanzt worden.

Marlene Weiss

Der kritische Moment ist das Einfangen der Dreherin. Ein beherzter Griff nach der Taille sollte es wohl sein. Aber es ist wie im richtigen Leben, bis ein Paar zusammenfindet, holpert es manchmal - bis zu zwei Punkte Abzug. Der Tänzer erreicht beim Aufsprung nicht die Schuhspitze, das Knie ist nicht am Boden, das Schlagen nicht im Takt? Maximal vier Punkte Abzug. Auch Gegenstände verlieren, Strümpfe rutschen, Sprechen, Armbanduhr anlassen kostet Punkte, die Liste der möglichen Fehler auf dem Bewertungsbogen ist lang. Immerhin geht es um den Bayerischen Löwen, die Champions League des Schuhplattelns.

Sprünge sind beim Schuhplatteln an der Tagesordnung. Nur die Ausführung schafft nicht jeder elegant. (Foto: region.wor)

Um den Wanderpokal wetteiferten am Samstag im Eglinger Ortsteil Neufahrn die besten zwei Gruppen und die besten drei Einzelplattler aus den Gaumeisterschaften. Ausdrehen, Aufsprung, Einholen, Rundtanz, Aufsprung, Einholen, Ausdrehen, Schlussfigur, und das Hunderte Male nacheinander: Die Preisrichter beim Platteln brauchen Geduld, und der Akkordeonist spielt vermutlich noch im Schlaf weiter. Aber die Konzentration darf nicht nachlassen, wahrscheinlich schauen die Tänzer deshalb so todernst. Erst bei der Schlussfigur, wenn alles glatt gegangen ist, lächeln die Paare erleichtert.

Heuer richteten die Veiglbergler aus Neufahrn das Preisplatteln aus, gleichzeitig mit dem 83. Loisachgaufest und dem 75-jährigen Vereinsjubiläum. Das Festzelt ist dem Anlass entsprechend gut besetzt: 700 Tänzer waren angemeldet, und die meisten bringen einen Tross von Gästen aus ihrem Trachtenverein mit. Einige Tausend Menschen aus 35 Vereinen sind da, erkennbar an der jeweiligen Tracht. Etwa d'Ammertaler Dießen mit dem auffälligen Bruststecker, einer mit Borten verzierten Platte, welche die Frauen außen am Mieder tragen. "Die Quellen für unsere Tracht stammen aus dem frühen 19.Jahrhundert", sagt Akkordeonist Sepp Kaindl stolz. 1995 wurde sie wiederbelebt, nach alten Darstellungen, Fotografien und erhaltenen Einzelteilen. Die Frauen machen ihre Trachten weitgehend selber.

Andere Trachten sind beim Tanzen eindrucksvoller: Die der Leitzachtaler etwa, bei denen die Röcke der Frauen beim Drehen fast waagrecht stehen, beim Zusehen wird einem schwindelig. Warum sie sich schneller zu drehen scheinen als die anderen? "Weil wir die Besten sind!", erklärt einer der Aktiven nach dem Gruppenplatteln fröhlich. Die Birkenstoana aus Penzberg sind nach ihrem Auftritt bescheidener: "Es hat besser geklappt als gedacht", sagt einer der Gruppenplattler, noch ganz außer Atem. Dann belegen ihn die Vereinskollegen mit Beschlag, alle wollen den Tänzern gratulieren.

James Zimmerman sitzt derweil mit einer Maß auf einer der Zuschauerbänke. Er trägt Tracht wie alle anderen und fällt allenfalls durch beträchtliche Körpergröße auf. Dass der Erste Vorplattler der Bavarian Schuhplattler Almenrausch, San Francisco, in Kalifornien lebt und aufgewachsen ist, sieht man ihm nicht an - man muss schon genau hinschauen, um das Wappen mit Inschrift "Gauverband Nordamerika" an seinem Hut zu entdecken. Der Nordamerika-Gau scheint besser als manch anderer vertreten zu sein, auch d'Rio Grandetaler aus New Mexico sind gekommen.

Zimmermans Mutter stammt aus Deutschland, im Landkreis Erding hat er Verwandte. Am besten gefällt ihm an den Trachtenvereinen, dass sie die Generationen zusammenbringen. "Kinder und Großeltern im selben Verein, das gibt es sonst nirgendwo in der Gesellschaft", sagt er. Dass Trachten verbinden, würde Rudi Rengel vom Trachtenverein Alpenrösl Allach wohl bestätigen. Ursprünglich stammt er aus Koblenz, aber schon vor langer Zeit hat er nach München geheiratet. "Und jetzt habe ich drei bayerische Töchter und sechs Enkel", erzählt er mit weichem rheinländischem Akzent: eine gelungene Integrationsgeschichte.

Am Spätnachmittag stehen schließlich die Sieger fest. Wie schon in den vergangenen Jahren hat sich der Lechgau durchgesetzt, das Gruppenplatteln gewann der Trachtenverein "Almfrieden" aus Steingaden. Aber auch die Gastgeber können feiern: Die Vortänzerin der Veiglbergler, Regina Wiedenbauer, wurde Erste im Einzelplatteln der Aktiven.

Zwei Jahre hatten die Vorbereitungen für die 75-Jahr-Feier des Vereins gedauert. Am Sonntag zogen die Veiglbergler mit etlichen eingeladenen Vereinen in einem Festzug durch den Ort. Hervorgegangen ist der Trachtenverein, in dem heute jeder Zweite Neufahrner Mitglied ist, aus einem Burschenverein. Die Gründung war heftig umstritten. Die Wolfratshauser Schloßbergler, denen die Neufahrner Trachtler bis dahin angehört hatten, wehrten sich dagegen. Doch am 21. Dezember 1935 war es soweit, und kurz darauf nahm der Verein die ersten sechs Frauen auf.

Bis 1939 fanden Vereinsfeste und Plattlerproben statt, dann brachte der Krieg die Aktivitäten zum Erliegen. Erst nach 1946 wurde weitergeplattelt.

© SZ vom 19.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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