Unterwegs mit Käscher und Glasfläschchen:Ein Leben für die Fliege

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Der in Bairawies lebende Peter Heuck hat eine bedeutende Sammlung der Insekten aufgebaut, die er nun der Zoologischen Staatssammlung in München überlässt.

Von Anja Brandstäter

Es war der 25. August 2011, als Peter Heuck einen bahnbrechenden Fund machte: Er hatte das allererste Exemplar der Kirschessigfliege in Deutschland entdeckt. Und zwar in seinem Garten in Bairawies. Der Lebensraum dieser Art ist normalerweise Japan und das ostasiatische Festland, das sich bis nach Sibirien zieht. Schon Jahre zuvor, in den 1970ern, hatte der promovierte Arzt begonnen, eine Fliegensammlung aufzubauen, die er nun der Zoologischen Staatssammlung München überlässt. "Es ist ein Glücksfall für uns. Die Sammlung Heuck ist enorm wichtig und breit aufgestellt. Die Tiere sind sehr gut präpariert", sagt Dieter Doczkal, Mitarbeiter des Instituts und selber Fliegenforscher.

Die Sammlung sei ein weiterer Baustein, um die Vielfalt von Fliegen zu dokumentieren. "Ohne diese jahrzehntelange Forschungstätigkeit wüssten wir sehr wenig über Insekten. So etwas Außergewöhnliches bekommen wir sehr selten", betont Doczkal. Der Wissenschaftler erzählt, dass das Insektensterben zuerst Hobby-Forschern aufgefallen sei. Doch diese Spezies selbst ist seiner Ansicht nach vom Aussterben bedroht. "Heute fehlt den Menschen die Geduld, sich lange mit Details zu beschäftigen", sagt Doczkal.

Geduld und Hartnäckigkeit zeichneten Heuck, der eine Praxis in Geretsried hatte, aus: Der heute 90-Jährige scheute keine Mühe, Fachliteratur auf griechisch, spanisch, russisch, englisch oder französisch zu besorgen und zu übersetzen, um der Bestimmung einer Fliegenart näher zu kommen. Er tauschte sich mit Experten aus und veröffentlichte Aufsätze.

"Ich wollte die Natur erfassen. Es war oft schwer, eine Fliege zu bestimmen. Kriterien sind zum Beispiel Augen, Körper, Flügel oder Mundwerkzeug", erzählt Heuck. Wer einmal durch das Mikroskop des Forschers geblickt hat, kann seine Faszination verstehen. Man schaut in riesige Augen, entdeckt zarte, durchsichtige Flügel oder behaarte Beine. Weltweit war der Hobbyforscher unterwegs mit Kescher und Glasfläschchen, die mit in Ethylacetat getränkter Watte gefüllt waren. Da kam seine Beute zunächst hinein. Akribisch hat er seine Fundstücke auf kleinste Nadeln aufgespießt. Auf quadratischen Zettelchen hat er notiert, wann er das Tier fand, den Ort, die Gattung und die Art. Die Notizen sind so winzig klein, dass man sie nur mit der Lupe lesen kann.

Auf der ganzen Welt hat Peter Heuck Fliegen gesammelt. Immer an seiner Seite war dabei Ehefrau Ruth Heuck. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Geduldig und bei allen Reisen dabei war seine Ehefrau Ruth. Anfangs auch seine beiden Töchter Marietta und Farida. "Die Fliegen waren im Urlaub am wichtigsten", erinnert sich Marietta. Die Versessenheit des Vaters führte zu manch skurrilen Situationen. "In Kenia entdeckte Peter zwei Esel in einem Gehege. Sein Interesse galt aber den Fliegen, die auf ihnen saßen. Da ist er schnell hineingeklettert und hat mit seinem Kescher die Fliegen gefangen. Dabei fuchtelte er fachmännisch herum. Für Laien sieht das ausgesprochen komisch aus, sodass sich bald eine Traube Menschen um das Gehege bildete."

Hatte er eine Entdeckung gemacht, blendete er alles um sich herum aus. So vergaß er einmal seine kleine Tochter Farida, auf die er aufpassen sollte, während Ruth das Frühstück einkaufte. Nicht immer ging das Fliegenfangen glimpflich aus. "Einmal stieß ihn ein Kamel so heftig, dass er eine blutende Kopfwunde davon trug", erinnert sich seine Frau. Keine Frage, das Familienleben wurde von dieser Sammelleidenschaft erheblich beeinflusst: "Während wir gemütlich beim Essen saßen, sagte meine Vater plötzlich 'nicht bewegen, nicht bewegen', dann ist er aufgestanden und hat eine Fliege gefangen", erinnert sich Tochter Marietta.

Die Sammlung Heuck dokumentiert einen Artenreichtum, der in dieser Form nicht mehr existiert. Das gilt laut Fliegenforscher Doczkal nicht nur auf die heimischen Exemplare, die Heuck hauptsächlich in seiner nächsten Umgebung fand: im Bairawieser Moor und auf den umliegenden Wiesen. Auch die in Übersee-Regionen gesammelten Exemplare werden sich in künftigen Sammlungen wohl nicht mehr finden, denn mittlerweile ist die Ausfuhr von Insekten verboten. "Um alle Fliegen in der weiteren Umgebung zu erforschen, ist ein Menschenleben zu kurz. Das ist das Problem und der Reiz", so der Wissenschaftler. "Zurzeit ändert sich viel in der Natur. Es findet ein Wechsel der Arten statt. 'Verschleppung von Tieren' durch den internationalen Warentransport nennen Wissenschaftler das Phänomen", sagt Doczkal. Die ostasiatische Kirschessigfliege, die Heuck in Bairawies entdeckte, sei ein Beispiel. Durch den Klimawandel fühlten sich Tiere in Deutschland wohl, die es ansonsten wärmer mögen. So breite sich etwa die Gottesanbeterin in München aus.

© SZ vom 22.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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