Theatersommer in Irschenhausen:Hacktion, bitte!

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Peter Spielbauer blickt auf 40 Jahre Philosokomik zurück. Freunde und Wegbegleiter leisten ihm Beistand.

Von Stephanie Schwaderer

Peter Spielbauer hat wenig unversucht gelassen, um sein Publikum aus der Denkreserve zu locken. Er hat Eimer und Zweimer auf seinem Kopf jongliert, sich in riesige Fadennetze eingesponnen und bei Flugübungen mit Bierbänken ganze Säle (fast) zum Abheben gebracht. Die Erkenntnis seines jüngsten Programms: alles Bürste. Beim Theatersommer der Gesellschaft unterm Apfelbaum wirft der selbsternannte Worttänzer, Objekttäter und Philosokomiker einen Blick zurück und präsentiert mit Weggefährten "Das Beste aus 40 Jahren". Zum Interview in Irschenhausen trägt er eine tiefrote Spielbauer-Hose und serviert Minze-Melissen-Tee, Eigenanbau.

SZ: 40 Jahre Peter Spielbauer - wo genau beginnt diese Zeitrechnung?

Peter Spielbauer: Beim Straßentheater in München. Ich war 25 Jahre alt, hatte diverse Studien - Deutsch, Englisch, Theaterwissenschaft und Biologie - abgebrochen und eine Gärtnerlehre hinter mich gebracht, na ja, fast. Ich war auf der Suche nach meiner Richtung in der Welt: Spieler oder Bauer? Das hat eine Zeit gedauert, es war ja kein künstlerischer Hintergrund da.

Sie sind im Bayerischen Wald aufgewachsen. Wie war das?

Ich hab's echt schön gehabt, bin auf einem Bauernhof in Waldmünchen groß geworden, hatte großzügige Eltern und Großeltern und das Glück, auf ein nagelneues Gymnasium gehen zu dürfen, das gerade die Kollegstufe erprobte. Das war meine Rettung! Ich habe alle Hintertürchen durchschritten. Zum fünfzigsten Jubiläum der Schule haben sie mich eingeladen, eine Festrede zu halten. Mich! Der ich die Schulzeit maximal in die Länge gezogen habe. Ein alter Schulfreund von damals kommt auch zum Theatersommer nach Irschenhausen: Reinhard Schiel, er ist Saxofonist - gewissermaßen mein eigener Klaus Doldinger. Er hat schon bei der Beerdigung meines Vaters Musik gemacht. Das kannte man so damals in der Oberpfalz noch nicht.

Jazz zur Beerdigung. Sie haben offenbar schon immer gern Konventionen durchbrochen?

Es war kein Affront, aber gschaut ham's scho. (Hält inne.) Oh, das klingt! Muss ich aufschreiben. (Zückt Stift und Papier, notiert. Setzt dann nahtlos das Gespräch fort.) Durchbrechen musste ich nichts, weil ich in kein Korsett gesperrt war. Ich hatte tolle Lehrer. Meine Frau Anette hat eine Erklärung dafür, warum ich immer so von meiner Schulzeit schwärme. Sie sagt: Die Lehrer mit den schlechten Noten wurden ins Zonenrandgebiet versetzt, die waren gut drauf - und die hast du gehabt.

Waren Sie ein fauler Schüler?

Ich hatte andere Sachen im Kopf als Mathe und Physik. Jetzt versuche ich das alles nachzuholen, weil es unglaublich spannend ist. Ich fliehe mental ins All, wenn es mir auf unserem Planeten zu kompliziert wird. Eine heilsame Perspektive, ment-All könnte ich auch sagen.

Zurück zum Straßentheater 1979. Wie sah Ihr erster Auftritt aus?

Es gab damals ein Festival in München, den Vorläufer von Tollwood. Aus ganz Europa kamen Straßen- und Off-Theater-Gruppen, manche kommunenartig strukturiert. Eines Abends bin ich einfach auf eine Bühne gestiegen und hab eine halbe Stunde improvisiert. Um die 60 Leute haben zugeschaut und mir am Ende sogar Geld gegeben. Ich dachte: That's it! Am nächsten Tag also gleich wieder rauf auf die Bühne, und es ging: nichts. Das war der Beginn der Erkenntnis, dass ich vielleicht ein Programm schreiben sollte.

Wie kamen Sie auf den Gedanken, spontan auf eine Bühne zu steigen?

Das hatte natürlich ein längeres Vorspiel. Meinen allerersten Auftritt hatte ich mit vier Jahren als tapferes Schneiderlein. Zu Hause in Waldmünchen bin ich dann mit dem Freilichtspiel "Trenck der Pandur" aufgewachsen. Vier Wochen Ausnahmezustand jedes Jahr. Ich konnte den Text in großen Teilen auswendig und fand alles wunderbar: die Bühne, die Pferde, vor allem aber zwei Clowns, die Besoffene spielten. Später hatte ich einen ganz besonderen Kunstprofessor, Georg Schmidt. Er gab mir, als ich 13, 14 war, Ernst Jandl und Ionesco zu lesen. Das stand damals in keinem Schulbuch. Sein Sohn kommt hoffentlich auch zum Theatersommer.

In Ihren Programmen verbinden Sie Schauspiel mit Akrobatik und Clownerie. Wo haben Sie das gelernt?

Ich war auf keiner Theater-Schule. Just do it. Aber ich hab zum Beispiel einen Workshop mit einem Schüler von Jerzy Grotowski gemacht, damals ein Ober-Guru des Off-Theaters. In einer alten Turnhalle ließ er uns zuerst den Boden, die Wände und Geräte mit unseren T-Shirts putzen. Dann haben wir die wieder angezogen - und waren angekommen. Bei ihm habe ich viel gelernt: Wie bespiele ich einen Raum? Wie bekomme ich die Leute in der letzten Reihe?

Wie bekommen Sie sie?

Manchmal schwierig. An einem Abo-Abend im Tölzer Kurhaus hat Veranstalter Wolfgang Ramadan einmal Wetten abgeschlossen, wie viele Leute in der Pause gehen würden. Es waren dann weniger als gedacht: 50 von 650.

K ränkt es Sie, wenn Leute mit Ihrem Programm nichts anfangen können?

Überhaupt nicht. Ich kann mit sehr vielem, was ich auf Bühnen sehe, auch nichts anfangen. Aus Höflichkeit muss keiner sitzen bleiben.

Eines Ihrer ersten Programme hieß "Wenn die Sonne scheint, scheint die Sonne zu scheinen", dann kamen "Paradieses oder Parajenes", "Schla Schla", "Allerdings Allerdongs" oder "Das Flatte Blatt". Wie wählen Sie daraus das Beste aus?

Ich hoffe, dass es mehr Bestes gibt, als das, was in diese zwei Stunden passt. Auf die Knochenbrechernummer mit den Bierbänken werde ich im Hinblick auf mein Alter und meine Gesundheit verzichten. Und ob ich mein großes Mobile aufbaue, hängt vom Wetter ab. Das geht nur, wenn wir draußen spielen, es passt nicht ins Zelt.

Ihre Objekte sind über die Jahre deutlich kleiner geworden.

Das erleichtert das Reisen. Ich spiele 50, 60 Auftritte im Jahr, bin oft in der Schweiz, die eine viel höhere Kleinkunst-Dichte hat, aber auch in Cloppenburg oder im Tessin. Es gab Jahre, da bin ich 50 000 Kilometer mit dem Auto gefahren. In einem dieser prallvollen Monate kam ich erledigt zu Hause an, fiel im Wohnzimmer in einen Sessel - und wollte mich anschnallen. Da wusste ich: Es muss sich etwas ändern. Mittlerweile fahre ich Zug. Mein Gepäck passt auf eine Sackkarre, ich kann arbeiten - eine meist schöne, entspannte Art des Reisens.

Auch in der S7?

Die S7 gibt einem oft Gelegenheit, an seiner buddhistischen Grundhaltung zu arbeiten. Ohne die S7 wäre ich spirituell auf einem ganz anderen Level, zur wahren Gelassenheit verhilft einem die S 7, und nach der S7 kommt direkt die S 8, die Zahl der Unendlichkeit, mit der fährst du zum Flughafen - und da hebst du ab. (Hält inne.) Das war auch gut! (Greift wieder zum Stift.)

Täuscht der Eindruck oder sind Ihre Programme weniger politisch geworden?

Seit der sogenannten Finanzkrise 2008 eher wieder mehr. Allerdings frage ich mich häufig, ob ich nicht ganz in den Dadaismus abdriften soll. Was soll man noch erklären? Die Menschen ertrinken im Mittelmeer, weil wir sie ausgebeutet haben. Das liegt alles so klar vor uns wie der Klimawandel. Eine meiner persönlichen Konsequenzen daraus ist der Garten, den wir zu Hause angelegt haben. Ich habe nachgezählt: Jeder Biene stellen wir mindestens 470 Blüten zur Verfügung.

Möchten Sie, dass die Leute klüger aus Ihren Vorstellungen gehen?

Der Physiker Hans-Peter Dürr, den ich sehr verehre, hat gesagt: Hauptsache, das Wissen zirkuliert. Ich frage meine Gäste nicht ab, wenn sie nach Hause gehen. Aber bei mir hat das Lernen schon immer so funktioniert: Du triffst hier einen und dort einen, der dich fasziniert, der dir einen Impuls gibt, dich in eine Richtung lenkt, dich prägt. Ich hoffe, dass ich manchmal für manche auch so einer bin, in intellektueller oder auch in visueller Hinsicht.

In visueller Hinsicht: Wem haben Sie Ihre Hose zu verdanken?

Einer Schneiderin, mit der ich in einer Künstler-WG in Erding lebte. Das Genialste sind die tiefen Taschen, da kannst du jede Jeans vergessen. (Steht auf und demonstriert: Die Arme verschwinden bis knapp unterm Ellenbogen in den Taschen.) Auch fürs Bauch-Verstecken ist sie nicht schlecht. Mittlerweile habe ich drei Schneiderinnen verschlissen. Aber der Schnitt ist derselbe geblieben. Unter dem Apfelbaum werde ich eine nagelneue Hose in Knall-Gelb tragen.

Zwei Abende Peter Spielbauer mit Freunden. Was wird da passieren?

Genau weiß ich das auch noch nicht. Schorsch Schweitzer wird den Conférencier machen, da lass ich mich überraschen, er kann nur improvisieren. Die beiden Abende werden ähnlich ablaufen und sind als Nummernprogramm konzipiert. Einen gemeinsamen Auftritt wird es geben und viel Musik. Und natürlich die Hacktion - mit der Axt und einem Buch. Theater braucht Hacktion!

Sonntag, 28. Juli, und Samstag, 3. August, Beginn jeweils 20.30 Uhr, Pfaffenleite 16, Irschenhausen, Einlass und Gastronomie 18.30 Uhr, Karten zu 20/12 Euro unter Tel. 08178/4783 oder www.theatersommer-isartal.org

© SZ vom 25.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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