SZ-Serie Europa im Landkreis, Folge 10:Netzwerk Europa

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(Foto: Ilona Burgarth)

Schüler und Lehrer aus fünf Ländern zeigen in Penzberg beim Programm "Erasmus Plus", wie internationale Zusammenarbeit gelingen kann

Von Konstantin Fahrner, Penzberg

Auf der ganzen Welt gibt es Orte, an denen Tag für Tag verschiedene Menschen aus unterschiedlichen Kulturen zusammenkommen. Diese Menschen leben Seite an Seite und respektieren einander, ungeachtet der Herkunft oder der Gesinnung des jeweils anderen. Sie interessieren sich füreinander, tauschen sich übereinander aus und lernen voneinander. Das alles ist für sie selbstverständlich und liegt in der Natur der Sache.

Für die Teilnehmer von "Erasmus Plus", ist Europa so ein Ort. Seit der Entstehung des EU-Programms zur Förderung allgemeiner und beruflicher Bildung, Jugend und Sport vor mehr als 30 Jahren ist ein europäisches Netzwerk kulturellen Austauschs über Staatsgrenzen hinweg entstanden. Bürger aus allen Mitgliedstaaten der EU sowie aus Norwegen, Island, der Schweiz, Liechtenstein und der Türkei haben die Möglichkeit, sich im Rahmen des Programms kennenzulernen. Der Name "Erasmus Plus" steht seit 2014 als Oberbegriff für alle aus dem Erasmus-Programm hervorgegangenen Angebote: Alle, die im Ausland studieren, eine Ausbildung machen, unterrichten, sich fortbilden oder einfach nur Auslandserfahrung sammeln möchten, können sich diesem Netzwerk anschließen. Bis 2020 können fast drei Millionen Studenten, Berufsschüler und Auszubildende Praktika oder Stipendien erhalten. Gefördert werden 25 000 strategische Partnerschaften zwischen insgesamt etwa 125 000 Bildungseinrichtungen und mehr als 300 Wissensallianzen zwischen Unternehmen und Bildungsstätten. Das Konzept basiert auf der 2010 von der EU-Kommission beschlossenen "Strategie Europa 2020". Sie sieht mitunter die "allgemeine und berufliche Bildung auf allen Ebenen im Sinne des lebenslangen Lernens" vor.

Lernen lernt man in der Schule, und auch dort setzt Erasmus Plus gezielt an. Seit 1995 werden im Rahmen des "Comenius"-Projekts ein- bis zweijährige Schulpartnerschaften gefördert, bis zu fünf europäische Schulen dürfen sich dabei jeweils zusammenschließen. Im Zuge dieser Partnerschaften finden dann europaweite Schüleraustauschtreffen statt. Dabei kommen Schüler und Lehrer für jeweils eine Woche in einem der Teilnehmerländer zusammen. Während ihres Aufenthalts lernen sie einerseits die Kultur ihrer Gastländer näher kennen. Darüber hinaus wird im Plenum über aktuelle Themen diskutiert, die ganz Europa betreffen.

Auch dieses und kommendes Jahr treffen sich die jungen EU-Botschafter, unter anderem am Gymnasium Penzberg. Dort besteht eine Partnerschaft mit Langon (Frankreich), Sibiu (Rumänien), Eisenstadt (Österreich) und Sandnes (Norwegen). Penzberg beteiligt sich seit seiner erstmaligen Teilnahme 2011 bereits zum vierten Mal am Comenius-Projekt. Von 2011 bis 2013 waren erneuerbare Energien das Thema, danach ging es um Ernährung und von 2016 bis 2018 um Migration. "From Digital Na(t)ive to Digital Navigator" lautet der offizielle Titel der laufenden Diskussionsperiode. Er bedeutet sinngemäß: Aufgewachsen im Zeitalter der Digitalisierung sollen die Schüler nun gemeinsam lernen, die damit verbundenen Chancen zu nutzen und gleichzeitig Risiken richtig einzuschätzen. Und sie sollen ihren Mitschülern zu Hause dann weitererzählen, wie genau das geht. Fast wie eine kleine EU-Kommission also.

So gibt es an jeder Partnerschule eine Woche lang Workshops mit Experten - in Penzberg unter anderem zu Fake News und Cybermobbing. In Arbeitsgruppen, die mal national, mal international besetzt sind, tauschen sich die Schüler über ihre persönlichen Erfahrungen aus und verwerten gleichzeitig die neuen Impulse aus den Workshops. Gemeinsam sollen sie dabei spielerisch die Grundsätze der transnationalen Zusammenarbeit erlernen.

"Wir wissen schon relativ viel, aber ich persönlich habe noch einiges dazu gelernt", findet Maria. Die fünfzehnjährige Norwegerin, Teilnehmerin am Austausch mit Penzberg, beschreibt die Workshops als sehr produktiv. Am interessantesten war für sie derjenige zum Thema Fake News. Dabei erfuhren die Schüler, was genau Fake News sind, woran man sie erkennt und wie leicht es ist, sie zu produzieren und zu vervielfältigen. Mit Hilfe eines sogenannten "Fake-News-Generators" wurden in mehreren Gruppen selbst falsche Meldungen hergestellt und anschließend im Plenum analysiert. Darüber hinaus lernten die Teilnehmer während ihres einwöchigen kleinen Gipfeltreffens in Penzberg viel über die angemessenen und unangemessenen Inhalte des Internets und wie sie mit ihnen umgehen sollten. Sie lernten, welche Rolle genau das Urheberrecht im Netz spielt; und was sie tun können, um ihre Privatsphäre zu bewahren, beispielsweise vor Identitätsdiebstahl; wie sie sich durch "Counter Speech" gegen Hasssprache und Cybermobbing zur Wehr setzen, anderen helfen und für einen fairen Umgangston im World Wide Web sorgen können; oder dass ihre Passwörter im Idealfall stets durch eine Zwei-Faktor-Authentifizierung abgesichert sein sollten. Vor allem aber sollen es sich die Schüler zur Aufgabe machen, online eine pluralistische Diskurskultur zu etablieren und zu erhalten, wo sie nur können. Wie sie gelernt haben, ist der Schlüssel dazu eine gesittete Form der Kommunikation, die sogenannte "Netiquette" - eine Art des Austauschs, wie er nicht allerorts im Netz gelebt wird. Und gleichzeitig eine der großen Zukunftsaufgaben für die junge europäische Generation. Kommunikativ sind die Schüler der fünf Partnerschulen allemal, wenn es um ihre gemeinsame Zukunft geht. "Außerdem kann ich nebenbei Kontakte knüpfen", so Maria. Kontakte, die sie pflegen wird. In Zeiten der Digitalisierung dürfte das nicht all zu schwer werden. Jetzt weiß sie immerhin noch besser, worauf sie dabei zu achten hat.

Die nächste einwöchige Tagung für digitalen Wandel findet dann im Oktober in Sibiu statt. Es folgen Projekttreffen in Eisenstadt und Sandnes. Bis dahin steht die nationale Umsetzung der erarbeiteten Ziele aus den beiden ersten kleinen Gipfeltreffen in Langon und Penzberg aus. Für kommenden Juli sind Medienworkshops für die siebten Jahrgangsstufen aller Partnerschulen geplant. Des Weiteren soll Ende Juli 2020 ein Medientag für alle Achtklässler stattfinden. Die Basis dafür bieten die gesammelten Erkenntnisse aus den Treffen der Comenius-Gesandten. Die werden am Ende des Austauschs für ihr europäisches Engagement eine Urkunde mit dem Titel "Digital Navigator" erhalten: eine Ernennung zu EU-geprüften, schulinternen Internetexperten sozusagen.

Ihre Heimat Norwegen vermisst Maria bei ihrem Austausch in Penzberg "ein bisschen", wie sie sagt. "Aber ich habe hier so viele Freunde gefunden." Sie würde am liebsten länger bleiben, wenn sie könnte, erklärt sie. Ihre neuen Freunde werde sie sehr bald schon vermissen. Aber der nächste Gipfel in Rumänien ist ja bereits in Sicht.

© SZ vom 18.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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