SZ-Serie: Ehrensache, Folge 5:Lesefuzzi aus Leidenschaft

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Veronika Fürst gehört zu einem Team der Stadtbücherei Penzberg, das Kindern und Jugendlichen Bücher näherbringen will. Viele von ihnen kommen zu Hause kaum mit Literatur in Berührung. Die Ehrenamtliche spürt den Erfolg ihrer Arbeit: "Mittlerweile hören sie gut zu. Es ist mucksmäuschenstill."

Von Alexandra Vecchiato, Penzberg

Jugendliche, die nie ein Buch gelesen haben - es gibt sie, längst nicht nur in Entwicklungsländern. Dabei ist das Lesen ein Privileg des Menschen. Ein komplexer Vorgang, bei dem mehrere Teile des Hirns gleichzeitig aktiviert und zeitlich exakt koordiniert werden. Das Lesen gehört aber auch zu den schönen Seiten des Lebens, weil es die Fantasie fördert. Mit einem Buch in der Hand tauchen die Leserinnen und Leser ein in andere Welten und vergessen den Alltag vorübergehend. Forscher haben herausgefunden, was oder besser gesagt, wer die beste Lese-Motivation für Kinder ist: Eltern, Großeltern oder Lesepaten wie Veronika Fürst. Ehrenamtlich besucht sie im Auftrag der Penzberger Stadtbücherei Schulen, um Kindern Geschichten zu erzählen von "Wilden Hühnern", Zauberern und vielem mehr. Oder sie liest Jugendlichen in der Bücherei vor.

Sie nennen sich die "Lesefuzzis". Darunter firmiert das Team geschulter Vorleser und Vorleserinnen der Stadtbücherei in der Rathauspassage. Vor etwa acht Jahren startete Veronika Fürst ihre Karriere als Lesefuzzi. Damals seien ihre Kinder aus dem Haus gewesen. Sie ist Mutter von vier Kindern. Fürst ist in Bonn geboren und hat Biologie studiert. 1994 zog die Familie nach Penzberg.

Das Vorlesen wollte Fürst nicht sein lassen. Sie hörte, dass man in der Bücherei ein Lesepaten-Team aufbauen wollte, und bewarb sich. Mit Erfolg. Einmal im Monat besucht sie nun eine Klasse an der Janusz-Korczak-Schule mit Förderschülern der Jahrgangsstufen zwei und drei. "Das ist meine feste Klasse", erzählt sie. Als Fürst die Klasse in der ersten Jahrgangsstufe übernahm, seien die Kinder noch "aufgedreht" gewesen. "Mittlerweile hören sie gut zu. Es ist mucksmäuschenstill." Welche Bücher die 59-Jährige vorliest, bestimmt sie selbst. Natürlich spreche sie sich mit den Lehrern ab. Doch es bleibe ihre Entscheidung. "Die Freiheit nehme ich mir", sagt sie. Oftmals hätten diese Kinder nie ein Buch in ihrem Zuhause in der Hand gehabt. Lesen außerhalb der Schule habe nicht stattgefunden, sagt Fürst. Es ist das Verdienst der Lesefuzzis, wenn sich dies ändert.

Veronika Fürst, 59, ist seit ihrer Kindheit, die sie im Rheinland verbracht hat, passionierte Leserin. Seit sie in Penzberg lebt, ist sie auch leidenschaftliche Vorleserin. Inzwischen kommen sogar Jugendliche, um von Veronika Fürst spannende Geschichten zu hören. (Foto: Manfred Neubauer)

Als Kind ist bei Veronika Fürst die Liebe zu Büchern geweckt worden. Ihre Tante war Bibliotheksleiterin im Rheinland. Samstags durfte Fürst sie dorthin begleiten. Das habe sie früh geprägt. Lesen sei für das gesamte Fortkommen wichtig, ist die 59-Jährige überzeugt. Die Stiftung Lesen in Mainz gibt ihr recht. Sie sieht im Lesen die billigste und wirkungsvollste Bildungsinvestition. Lesen fördere nicht nur den Spracherwerb, Bücher gäben Gesprächsanlass, erweiterten das Weltbild und ermöglichten es, sich in andere Menschen hineinzuversetzen. "Ich möchte, dass die Kinder gute Sprache hören und Freude daran haben", sagt Fürst.

Sie selbst lese querbeet. Manche Bücher nehme sie mehrmals zur Hand. "Bei jedem Mal werden sie besser." Nicht unterschätzen dürfe man Bilderbücher. Sie seien oftmals der Einstieg für ihre Besuche in Schulklassen. Dabei gehe es noch nicht ums Vorlesen Wort für Wort. "Ich erzähle die Geschichte frei." Gerne setze sie sich dabei mitten unter die Kinder. Denn auch sie werden von Fürst einbezogen und dürfen ihre Geschichten zu den Bildern erfinden.

Für das freie Erzählen sind die Lesefuzzis eigens geschult worden. Bei den Seminaren hätten die Teilnehmer auch Vorlesetechniken gelernt. "Etwa, um ein Gefühl dazu zu bekommen, wie lange es dauert, einen Text vorzutragen." Hilfreich sei es, Geschichten vorab als Übung laut vorzulesen.

Fürst besucht nicht nur Schulen oder liest Kindern in der Stadtbücherei vor. Erwachsene gehören ebenso zu ihrem Publikum. Jeden ersten und dritten Donnerstag im Monat lädt die "Blaue Stunde" Literaturfreunde in die Stadtbücherei ein. Diese Reihe müsse sich noch etablieren, sagt Fürst. Geplant ist, dass nicht nur die ehrenamtlichen Vorleser dort vortragen. Die Veranstaltung soll eine Plattform für ortsansässige Autoren werden. Wie viele Zuhörer am späten Nachmittag in die Rathauspassage kommen, bleibe spannend, so Fürst. Fünf, sechs seien es im Durchschnitt. Manchmal kommt auch niemand, aber das entmutigt die 59-Jährige nicht.

Die Liebe zum Buch ist und bleibt für Veronika Fürst auch ein haptisches Erlebnis. "Ich muss einen Buchdeckel zuklappen können", sagt sie. Ein E-Book-Reader komme ihr daher nicht ins Haus. Dafür eine neue Zielgruppe: Zwei Enkel hat Veronika Fürst bereits. Nummer drei und vier seien unterwegs, erzählt sie. Auch ihnen wird Veronika Fürst die Freude an der deutschen Sprache nahebringen mit den ewigen Klassikern der Kinderbuchliteratur.

© SZ vom 22.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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