SZ-Serie: Bau-Geschichten, Folge 2:"Es ist das Gewohnte, in dem man aufgewachsen ist"

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René Mühlberger hängt an der Tölzer Kirche Maria Himmelfahrt wie an einer Heimat. Er war dort Ministrant und singt heute im Chor. Manchem Detail, wie dem alten Ambo, trauert er nach.

Von Klaus Schieder, Bad Tölz

Zur Morgenmesse sind nur ein paar Senioren gekommen. Sie verweilen nach dem Ende des Gottesdienstes noch für einige Minuten, ein Mann kniet in der Kirchenbank, zwei Frauen beten im Stehen. Obwohl der Himmel an diesem Augusttag bedeckt ist, fällt viel Licht durch die hohen Fenster in die Tölzer Stadtpfarrkirche Maria Himmelfahrt. Das mutet ungewöhnlich für ein gotisches Gotteshaus an, das ja sonst eher in kerzenflackernder Dämmerung liegt. René Mühlberger kennt diese freundliche Atmosphäre in der stadtbildprägenden Kirche im Zentrum von Tölz seit seiner frühen Kindheit. Er diente viele Jahre lang als Ministrant, er singt in der Chorschola, er ist Mitglied im Kirchenchor. Manchmal kommt sich der CSU-Stadtrat und Abteilungsleiter an der Feuerwehrschule Geretsried in dem Sakralbau "wie in der eigenen Wohnung" vor. "Es ist einfach das Vertraute und Gewohnte, in dem man aufgewachsen ist", sagt er.

So ganz genau kann sich der 45-Jährige nicht mehr daran erinnern, wann er von Peter Janßen, dem Bruder des derzeitigen Pfarrgemeinderatsvorsitzenden Claus Janßen, erstmals in die Kirche mitgenommen wurde. Mag sein, er ging damals noch in den Kindergarten, vielleicht auch schon in die Grundschule. Seine Eltern waren von Reit im Winkel nach Tölz gezogen, als er drei Jahre alt war. Sie übernahmen die Weinstube Schwaighofer in der Marktstraße, wo sie als Gastronomen zu viel zu tun hatten, um mit ihrem Sohn sonntags zur Messe zu gehen. Zur Kirche brachte ihn die Familie Janßen, die heute die Weinstube führt. Genauer gesagt: zur Kindermesse, die immer dienstags gefeiert wurde. Einmal, erzählt Mühlberger, habe er im Chorgestühl neben Peter Janßen gesessen. Der habe ihn gefragt, "ob ich mir vorstellen könnte, Ministrant zu werden".

Er war hier viele Jahre lang als Ministrant tätig, noch heute singt er in der Chorschola und im Kirchenchor mit. (Foto: Manfred Neubauer)

Messdiener blieb er dann bis zu seinem Studium. Ausgebildet von Josef Steigenberger - der CSU-Fraktionssprecher im Stadtrat leitete seinerzeit die Ministrantenstunde - diente er erst unter Stadtpfarrer Rupert Berger, dann unter Stadtpfarrer Rupert Frania. Wer als Kind, als Jugendlicher, als junger Mann die Gottesdienste am Altar erlebt, bekommt einen anderen Blick auf den Innenraum der Kirche. Auf der einen Seite der Priester, Lektoren, Messdiener, auf der anderen das Volk - das empfand Mühlberger als "zwei Seiten, die aufeinander fixiert sind". Von der Liturgie her sollte es aber doch eher so sein, "dass sich alle um den Altar versammeln", meint er. Dies sei in einer modernen Communio-Kirche möglich, aber kaum in einer Wegekirche mit Längsachse, wie sie nicht bloß in der Gotik gebaut wurde. Mühlberger vermisst das auch nicht unbedingt: "Da spielt das Vertraute mit hinein."

Als er in seiner Studentenzeit in die Chorschola mit ihren derzeit etwa zehn und in den Kirchenchor mit seinen circa 40 Mitgliedern eintrat, wechselte er auf den Chorstuhl und damit auch die Perspektive. Zunächst probte er unter Chorregent Alfons Striz, danach kam Kirchenmusiker Christoph Heuberger, der beide Ensembles festigte und ausbaute. Mühlberger erlebte die Stadtpfarrkirche noch einmal anders. Nicht nur als Ort der Messen, der Erinnerung an so viele Weihnachten und Ostern, der "ganz zentralen Erlebnisse" von Kommunion und Firmung, die er dort in der Kindheit empfing. Das Gotteshaus wurde nun auch zum Konzertraum, wenn er im Chor am Oratorium "Elias" von Mendelssohn Bartholdy mitwirkte oder mit der Schola gregorianische Choräle sang. Vor dem 7,5 Millionen Euro teuren Umbau der Kirche sei die Akustik "genial" gewesen, sagt Mühlberger. Danach, meint der 45-Jährige, hätten der neue Anstrich und die Reinigung der Oberflächen schon Auswirkungen gehabt: "Eine gewisse Halligkeit." Trotz Lautsprecheranlage sei "das Verstehen nicht ganz zufriedenstellend".

Für René Mühlberger ist die spätgotische Stadtpfarrkirche Maria Himmelfahrt in Bad Tölz seit seiner frühen Kindheit ein Ort der Heimat. (Foto: Manfred Neubauer)

Mühlberger trauert auch dem alten Ambo nach, der mit der 2011 beendeten Innensanierung in der Sakristei verschwand. Das alte Pult hatte eine Stufe, die er als "ein Symbol für diesen besonderen Ort der Verkündigung" gerne sah. Der Künstler, der den neuen Ambo schuf, habe das nicht wieder aufgegriffen. Ihn stört auch, dass die Maria-Hilf-Kapelle nicht mehr als Sakramentskapelle dient, weil der Tabernakel - aus historischen Gründen - in den Hochaltar zurückgekehrt ist. Auch die ockergelbe Außenfarbe der Stadtpfarrkirche, die Pfarrer Frania stets als eine Geschmacksentgleisung aus den Siebzigerjahren charakterisiert hatte, besaß für Mühlberger etwas Warmes, ja Anziehendes. In der Sonne sei die Kirche ein Lichtpunkt gewesen, meint er. "Jetzt ist sie schon etwas fahl."

Aber der 45-Jährige weiß auch, woher seine Wehmut kommt: Es ist das Ungewohnte nach vielen Jahren des Gewohnten. Ein Ort der Liturgie, ein Ort der Begegnung, ein Ort der Arbeit, ein Ort der Musik - all diese Facetten hat er an der Stadtpfarrkirche schon erlebt. "Es ist eine große Bandbreite, die da wahrnehmbar ist." Mit dem Umbau wurde sie erstmals auch ein Ort des Abschieds. Dabei lässt es Mühlberger allerdings nicht bewenden. Die Veränderungen ermöglichten ja selbst ihm einen neuen Blick auf Details: die Farbfassung des Hochaltars ohne Silberanstrich, die Ornamentik an der Wand, sogar die Kerzenhalter. Die Sanierung und Neugestaltung sei inhaltlich nötig gewesen, sagt er. Und dafür könne man nur sehr dankbar sein. All seinen Erinnerungen vermag der Umbau ohnehin nichts anzuhaben. In der Stadtpfarrkirche, sagt Mühlberger, "fühle ich mich sehr beheimatet, sehr wohl".

© SZ vom 24.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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