SZ-Adventskalender:Tumore an der Wirbelsäule

Eine Frau verlässt ihren gewalttätigen Mann, hält sich gerade so über Wasser - und erkrankt dann unheilbar

Von Claudia Koestler, Bad Tölz-Wolfratshausen

Der Rollstuhl wartet bereits im Hausflur darauf, dass Veronika Sch. (Name geändert) ihn brauchen wird. Noch aber klammert sie sich die Ende 30-Jährige tapfer an ihren Rollator, wie an ein Stück Hoffnung. Es ist die Chronik einer angekündigten Tragödie: Nach Jahren, in denen ihr Mann das ältere der Kinder schlägt und bei Veronika psychische Gewalt anwendet, gelingt ihr die Flucht aus der Ehe. Die Kinder bleiben nach der Scheidung bei ihr, "und ich dachte, jetzt kann ein neues Leben beginnen", erzählt sie. Dass das neue Leben allerdings von einer unheilbaren Krankheit geprägt sein würde, ahnte sie da noch nicht. Sie arbeitet, um den Lebensunterhalt für die Familie zu bestreiten, und geht am Feierabend einer Nebentätigkeit nach. "Ich wollte meinen Kindern eine gute Mutter sein, aber auch ein Vorbild, dass man eben für sein Geld auch was tun muss", sagt sie.

Vor zwei Jahren begannen die Schmerzen im Rücken. Sie wurden so heftig, dass sie sich nicht länger bücken konnte, geschweige denn arbeiten. Der erste Arzt verwies sie zu Spezialisten, und nach einer Computertomografie steht die Diagnose fest: Veronika Sch. leidet unter einem Chordom Sarkom, einer sehr seltenen Form von Krebs, der Tumore an der Wirbelsäule bildet und eigentlich eher bei älteren Menschen vorkommt. Die Ärzte raten ihr zu einer Operation, doch der Tumor hat die Nerven bereits umfasst. Schon vor der Operation steht damit fest, dass sie hinterher wohl gelähmt bleiben würde, dazu drohen ihr ein künstlicher Darmausgang und ein Blasenkatheter.

Von der Diagnose genauso schockiert wie von der Prognose, will sie eine zweite Meinung einholen. Doch weil diese Krebsform so selten ist, gibt es nur wenige, die dazu überhaupt in der Lage sind. In einer Spezialklinik in Baden-Württemberg rät man ihr statt zur Operation zu einer Bestrahlung mit Protonen. Diese ist allerdings wesentlich stärker als herkömmliche Bestrahlungen bei Krebserkrankungen. Veronika Sch. entscheidet sich dennoch dafür, "aber das war mit ungeheuren Schmerzen verbunden", erzählt sie. Kurz darauf zeichnen sich Strahlenschäden ab: Ihr linker Fuß ist taub, der rechte Fuß zu 70 Prozent gelähmt. Dazu kommen starke Schmerzen, gegen die fast nur Morphine helfen. Ein halbes Jahr später ist der Tumor an der Wirbelsäule zurück und drückt auf die Nerven. Alle sechs Monate muss sie die Prozedur wiederholen.

Inzwischen ist Veronika Sch. in eine behindertengerechte Wohnung umgezogen. So gut es geht, ist sie weiter für ihre Kinder da, und trotz aller düsteren Prognosen will sie sich nicht unterkriegen lassen. Doch das Geld reicht nur für das Nötigste, und manchmal auch das nicht mehr: Zwar erhält sie eine Erwerbsminderungsrente und etwas Unterhalt vom Vater der Kinder, der sich ansonsten aber nicht kümmert. Nach Abzug der Miete bleiben ihr und den Kindern gerade mal etwa 400 Euro zum Leben. Dringend bräuchte sie in der recht nackten Wohnung eine Küchenzeile. Zudem ein orthopädisches Bett, um trotz ihres Wirbelsäulentumors Ruhe finden zu können. Momentan schläft sie auf einer alten, durchgelegenen Matratze auf einem Metallgestell mit Metall-Rost. "Die Ruhe könnte ich wirklich gut brauchen, denn ich muss ja weiter denken und planen", sagt sie und unterdrückt die Tränen. Denn die Ärzte geben der jungen Mutter eine begrenzte Zeit, vielleicht drei, vielleicht vier Jahre. "Ich will aber nicht, dass meine Kinder schlecht aufwachsen, wenn ich nicht mehr bin", sagt sie. Das jüngste Kind soll noch nicht voll mitbekommen, was ihre Worte wirklich bedeuten. Mit Planen meint Veronika Sch. die Suche nach einer geeigneten Pflegefamilie für den Jüngsten, und die Vorbereitungen darauf, wenn sie selbst palliativ gepflegt werden muss. Auch wenn es möglicherweise nicht für immer sein wird: "Ein bisschen Hilfe täte richtig gut, damit nicht alles mehr so dunkel aussieht, sondern ein bisschen Hoffnung keimen kann."

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