SZ-Adventskalender:Schmerzen und Einsamkeit

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Moritz D. leidet unter gleich drei schweren Krankheiten

Von Claudia Koestler, Bad Tölz-Wolfratshausen

Die Frage stellt sich unwillkürlich, wenn man Moritz D. zuhört: Wie viel kann ein einzelner Mensch ertragen? Vor ungefähr neun Jahren endete seine Beziehung, seine Muskeln begannen unkontrolliert zu zucken, er brach in der Wohnung zusammen, alleine. Erst nach Tagen wurde er gefunden. Seither gab es wenige Lichtblicke im Leben des Mannes, aber umso mehr Schicksalsschläge und gesundheitliche Schockdiagnosen.

Moritz D. leidet an Fibromyalgie, einer chronischen und therapieresistenten Erkrankung, die lange schlummerte, durch den Stress der Trennung aber plötzlich mit voller Wucht ausbrach. Seine Muskulatur und seine Gelenke schmerzen seither. Dazu ist er permanent müde, leidet an Schlafstörungen, Konzentrations- und Antriebsschwäche. Parallel erkrankte er an Polyneuropathie, einer Störung des Nervensystems, bei denen Teile des Körpers spontan kribbeln und dann entweder taub oder brennend schmerzhaft werden. So schlimm, dass er Koordinationsstörungen hat und manchmal nicht mehr in der Lage ist, sicher zu gehen.

Als wäre das nicht genug, wurde 2012 ein Gehirntumor bei Moritz D. diagnostiziert - inoperabel, denn die Geschwulst sitzt an einer Stelle, an der das Risiko zu groß ist, dass er während des chirurgischen Eingriffs verblutet. Durch den Tumor leidet Moritz D. unter permanenten Schmerzen im Kopf und Sehstörungen. Zwar nimmt er starke Schmerzmittel, doch die haben extreme Nebenwirkungen. Unter anderem schwillt sein Bauch massiv an, das Herz rast und er bekommt Atemnot. "Es ist also jeden Tag auf's Neue die Frage, ob ich die Schmerzen ertrage oder die Nebenwirkungen", sagt er.

Durch die Krankheiten war Moritz D. nicht mehr in der Lage, zu arbeiten, und rutschte nach und nach auch noch durch das soziale Netz. Psychisch erschöpft wurde er zunächst in seiner Heimat München betreut, doch seine Wohnsituation belastete ihn zunehmend. Einige Nachbarn hätten sich einen Spaß daraus gemacht, den kranken Mann zu mobben. Sie hätten ihn beschimpft, ihm Grabgestecke vor die Tür gelegt und sogar auf seinen Kopf eingeschlagen, erzählt er. Weil er sich in seiner Not gänzlich von seiner Umgebung abschottete und sich nicht mehr vor die Tür traute, brachte ihn sein Betreuer in die Psychiatrie. "Dort habe ich mich schnell erholt", sagt er. Doch im Anschluss an den Aufenthalt dort fand Moritz D. keine Bleibe und musste in eine Obdachloseneinrichtung ziehen. "Darunter habe ich sehr gelitten", sagt er.

Inzwischen hat er ein schlichtes, kleines Apartment bezogen, das er mithilfe einer neuen, engagierten Betreuerin finden konnte. Allerdings nicht in München, sondern im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen. "Die Großstadt fehlt mir schon, hier fühle ich mich manchmal sehr einsam", sagt Moritz D. Gerne würde er mit Freunden und der Familie per Mail oder Telefon in Kontakt treten, oder sich im Internet Selbsthilfegruppen anschließen. Doch ohne Computer geht das nicht. "Ich schreibe auch sehr gerne, Geschichten und Gedichte". Doch mit der Hand ist das aufgrund der Krankheiten schwierig, wenn nicht gar unmöglich, "es geht nurmehr mit Tastatur." Sein größter Wunsch: Ein kleiner Computer und ein kleiner Fernseher - um seinen Tag sinnvoll zu füllen und Kontakt mit Freunden und Verwandten halten zu können. Und um sich abzulenken, so dass er nicht länger ständig grübeln muss über sein Schicksal.

© SZ vom 26.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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