SZ-Adventskalender:In der Abwärtsspirale

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Die alleinerziehende Dagmar W. kann nicht so arbeiten wie gewollt

Von Claudia Koestler, Bad Tölz-Wolfratshausen

"So hatte ich mir das mit dem Leben nun wahrlich nicht vorgestellt", sagt Dagmar W. (Name geändert) und senkt den Blick. Dass sie sich eines Tages so alleine fühlen würde, so vom Alltag belastet, dass ihr irgendwann einmal nicht mehr ausreichend Geld zur Verfügung stehen würde, um ihre Familie mit dem Nötigsten auszustatten? Vor einigen Jahren noch undenkbar.

Denn alles war auf ein gutbürgerliches Leben in der Mitte der Gesellschaft ausgerichtet: Dagmar W. hatte eine gute Schulbildung genossen, eine Lehre im sozialen Bereich abgeschlossen, geheiratet, zwei Kinder bekommen und Vollzeit gearbeitet. "Es hat mir wirklich Freude gemacht, für andere da zu sein, und ich habe gerne gearbeitet", sagt sie. Als ihre Eltern viel zu früh und überraschend starben, waren es ihr Mann und ihre Kinder, die ihr weiter Halt gaben. Doch die Ehe bekam mehr und mehr Risse, und beim jüngeren der beiden Kinder zeigte sich schon früh, dass der Bub unter einer kognitiven Einschränkung und Entwicklungsverzögerung litt. Die Diagnose belastete alle stark: "Der Vater der Kinder kam mit den Einschränkungen, die der Bub nun mal hat, nicht mehr zurecht und hat sich mehr und mehr von uns entfremdet", erzählt die Mitte 40-Jährige.

Fast parallel machte sich bei ihr selbst eine dramatische Form der Arthrose in der Wirbelsäule bemerkbar, und sie erlitt durch die schwere Arbeit auch noch Schäden an den Bandscheiben. Zuviel der Belastung für die Ehe: Ihr Mann trennte sich, und seither ist Dagmar W. alleine für ihre beiden Kinder da. Ihr Sohn hat aufgrund seiner Einschränkungen und Entwicklungsverzögerungen jedoch einen hohen Betreuungsaufwand. "Man muss jeden Schritt detailliert erklären und immer wieder sagen, und jede Form der Änderung im Tagesablauf lässt ihn schwierig werden", sagt sie. Dazu komme, dass sich das ältere Kind, ihre Tochter, gerade mitten in der Pubertät befinde und entsprechend dünnhäutig auf die Bedürfnisse des kleinen Bruders reagiere. "Wenn sie einmal beim Frühstücken auf einem anderen Stuhl sitzt als sonst, kann die Stimmung schon kippen, weil der Kleine damit nicht umgehen kann", beschreibt Dagmar. "Kurzum, alles kann ein Problem auslösen."

Dass sie die Verantwortung als Alleinerziehende nun ganz alleine trägt, lastet schwer. "Bei den Eltern nicht mehr um Rat fragen zu können, das fehlt einfach." Ob des hohen Betreuungsaufwands für den Sohn und ihrer eigenen Erkrankungen ist es ihr derzeit nicht möglich, Vollzeit zu arbeiten. Das wiederum ist der Grund für das magere Budget, das der Mutter zweier Kinder nach Abzug der Miete monatlich zur Verfügung steht. "Natürlich hatte ich mal Rücklagen, aber die sind inzwischen leider alle aufgebraucht", erzählt Dagmar W. Ihren Bausparvertrag musste sie kündigen und das Geld für den Lebensunterhalt verwenden, ehe sie einen Antrag auf ergänzende Sozialleistungen stellen konnte. Obwohl die Wohnsituation prekär ist - der Sohn muss sich ein winziges Zimmer mit seiner Schwester teilen -, muss sie das Beste aus der Situation machen. "Ich suche schon seit Jahren nach einer anderen Wohnung. Aber als Alleinerziehende mit zwei Kindern ist man ja nicht gerade an erster Stelle der Wunschliste von Vermietern." Wenn sich grundsätzlich an der Wohnung schon nichts ändert in absehbarer Zeit, so bräuchten die Kinder allerdings eine räumliche Trennung, eine Rückzugsmöglichkeit, um die Familie nicht endgültig auf die Zerreißprobe zu stellen. Doch das Geld für den Raumtrenner, für ein Hochbett und einen Schreibtisch ist einfach nicht vorhanden. "Es geht ja gerade so um, und alles ist durchgetaktet: die Kosten für die Lebensmittel, für die Therapie des Kleinen, Medikamente. Da bleibt nichts, was man zurücklegen kann."

© SZ vom 12.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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