SZ-Adventskalender:Ein richtiges Bett statt Paletten mit Matratze

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Nach dem Suizid des Ehemanns und Vaters steht eine Familie vollkommen ohne finanzielle Mittel da

Von Claudia Koestler, Bad TölzWolfratshausen

Mit einem Telefonanruf hat sich alles verändert: "Ein Freund unserer Familie rief mich an, dass etwas nicht stimme. Mein Mann schien zwar im Haus zu sein, öffnete aber nicht die Türe und ging auch nicht an sein Handy", erinnert sich Michaela W. (Name geändert) an den Tag vor sechs Jahren. Am Ende sind es die Rettungskräfte, die die Türen aufbrechen und Michaela W.s Ehemann leblos auf dem Boden des Badezimmers vorfinden. "Sie machten und taten, während ich daneben stand und nichts tun konnte, aber nach einer halben Stunde war klar, er ist tot", erinnert sich die 43-Jährige. Die Tränen laufen ihr über die Wangen. Die Polizei stellt später fest: Ihr Ehemann hatte sich das Leben genommen, mit einer Überdosis Medikamente. "Er war lange schon an Depressionen erkrankt und hatte zwischendurch immer wieder mal gesagt, er werde sich eines Tages umbringen", sagt Michaela W. "Aber es hieß immer, wenn ein Mensch über seine Suizidgedanken spricht, dann macht er es nicht."

Mit dem Tod des Ehemannes und Vaters von zwei Kindern änderte sich schlagartig alles für die junge Familie. Nach dem Schock und der unbändigen Trauer über den Verlust des Ehemannes und Vaters wird auch schnell klar: Er hinterlässt seiner Frau und seinen Kindern keinerlei Absicherungen für die Zukunft.

Die junge Mutter steht vollkommen ohne Mittel da. Und das Erlebnis, den Vater durch einen Suizid zu verlieren, wirft die Kinder psychisch aus der Bahn: Der Sohn, zu dem Zeitpunkt erst fünf Jahre alt, setzt seither Schlaf mit Tod gleich. Die Tochter, damals elf Jahre alt und gerade am Beginn der Pubertät, sackt in den schulischen Leistungen ab. Um ihnen in dieser schweren Zeit beizustehen, braucht die Mutter all ihre Kraft: "Für sie muss ich stark sein", sagt Michaela W.. Jegliche eigene Bedürfnisse stellt sie deshalb hinten an, um den Kindern Halt und ein Gefühl der Geborgenheit zu vermitteln. Doch beruflich und finanziell kann sie die Lücken, die der Vater mit seinem Freitod hinterlässt, nicht füllen. Denn sie selbst ist auf dem Arbeitsmarkt nur schwer vermittelbar, die junge Frau leidet unter Arthrose. Die Familie ist somit auf Sozialleistungen angewiesen und kommt gerade so über die Runden. Den größten Wunsch des Sohnes, ein Fahrrad zu haben, konnte sie deshalb bislang nicht erfüllen.

Besonders schmerzhaft: "An Weihnachten hatte mein Mann Geburtstag, an diesem Fest werden wir immer besonders an das Verlorene erinnert", erzählt die Frau. Gerne würde sie den Kindern helfen, sich im neuen Leben ohne Vater besser zurecht zu finden, sich als Familie zu Dritt neu zu orientieren. "Aber alles in unserer Wohnung erinnert an meinen Mann und an ihren Vater", sagt Michaela W.. Noch immer sehe die Wohnung so aus wie damals, als sie eingezogen sind, und wie am Tag, als der Vater starb: Derselbe grüne Linoleumboden, derselbe Teppich, dieselbe Farbe an den Wänden. Inzwischen hat aber überall der Zahn der Zeit genagt, der Boden etwa ist speckig und abgewetzt. Doch ihr Vermieter will nur einen geringen Teil der Renovierungskosten übernehmen.

Den Rest für das Laminat, das der Sohn als Asthmatiker braucht, müsste die Mutter stemmen. Dazu kommt die Bettensituation: Michaela W. schläft auf einer dünnen Matratze, die auf zwei Europaletten liegt, die Tochter nächtigt auf dem durchgesessenen Sofa. "Ein neuer Boden wäre für uns ein neuer Anfang, und ein richtiges Bett wäre ein Stückchen Normalität und Geborgenheit für uns drei", sagt Michaela W.

© SZ vom 22.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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