SZ-Adventskalender:Die Rente reicht nicht einmal fürs Nötigste

Lesezeit: 2 min

Der Sibiriendeutsche Viktor M. und seine Frau brauchen dringend eine neue Waschmaschine

Von Claudia Koestler, Bad Tölz-Wolfratshausen

Viktor M. (Namen geändert) hat viel zu erzählen und viel zu zeigen von der Auswanderung deutscher Siedler nach Russland unter Zarin Katharina II. Er breitet Zeitdokumente aus, die von Missernten, Hungertod, und Zwangsarbeit zeugen, Karten, die Deportationen nachvollziehbar werden lassen. Viktor M. und seine Frau Daria sind Spätaussiedler. Sie lebten in Sibirien, doch Viktor M. hat deutsche Wurzeln, Deutsch ist seine Muttersprache. 2001 haben sie sich auf den Weg von Russland nach Deutschland gemacht. Hier wollten sie das Gefühl von Heimat und Freiheit spüren.

Wenn Viktor heute anfängt zu erzählen und dazu die alten Urkunden und Karten auf den Tisch legt, wird deutlich: Durch die Brillen aus einem Geschäft, die Viktor M. und seine Frau tragen, können sie inzwischen kaum mehr etwas erkennen. Die Augen tränen, denn die Dioptrien sind bei den Auge unterschiedlich, so dass die einfachen Lesebrillen aus dem Supermarkt die Augen zusätzlich verschlechtern. Neue können sie sich aber nicht leisten.

Zu erzählen haben die beiden dennoch viel, vor allem von früher. In Russland hatte Viktor M., seit er ein kleiner Junge war, einen großen Berufswunsch: Eisenbahner wollte er werden, und wurde es auch. Ob Dampflok oder Schnellzug, Viktor M. führte die Maschinen fast 40 Jahre lang. "Der Beruf, an dem hing mein Herzblut", sagt er. So wie an der Familie, denn die bewegte Geschichte der Russlanddeutschen hat er miterlebt. Ursprünglich an der Wolga angesiedelt, wurde die Familie auseinander gerissen und in unterschiedliche Landesteile umgesiedelt. Jahrzehntelang suchte Viktor M. zum Beispiel nach seinem Bruder. Er fand ihn erst vor vier Jahren wieder. Als Michael Gorbatschow Generalsekretär der KPdSU geworden war und die Grenzen geöffnet wurden, kam auch für Viktor M. und seine Familie die Wende.

Um die Jahrtausendwende ergab sich die Möglichkeit, nach Deutschland auszureisen. "Für die Zukunft der Kinder haben wir das gemacht", sagt er. Doch die Aussiedlung war nicht unproblematisch. Zweieinhalb Jahre lebte die Familie beengt in einem Heim für Aussiedler, und der damals bereits 60-Jährige fand keine Arbeit. Mit dem Renteneintritt kam das böse Erwachen: Was den beiden monatlich zur Verfügung steht, muss vom Sozialamt aufgestockt werden, damit sie überleben können. Da sind Anschaffungen schwierig, wie jetzt, da die alte, gebrauchte Waschmaschine, die längst Rost angesetzt hat, kaputt gegangen ist. Und auch für die passenden Brillen reicht das geringe Einkommen nicht aus.

© SZ vom 20.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: