SZ-Adventskalender:Der Pferdeflüsterer braucht Winterschuhe

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Uwe M. hat seine Arbeit geliebt, doch sie war nicht gut bezahlt und hat ihn überdies krank gemacht

Von Claudia Koestler, Bad Tölz-Wolfratshausen

Das Foto hat schon bessere Tage gesehen. Provisorisch ist es mit Isolierband an die bröckelige Wand geklebt. Es ist der einzige Blickfang in einem schmucklosen, einfachen Zimmer. Das Bild zeigt einen stolzen andalusischen Hengst, eines der Pferde, die Uwe M. (Name geändert) früher für deren Besitzer hegte und pflegte. Wenn der 72-Jährige auf das Foto deutet und anfängt zu erzählen, wird die Vergangenheit lebendig, in der Uwe M. in einer anderen, bunteren Welt unterwegs war als heute. Uwe M. verdiente seinen Lebensunterhalt als Amateur-Jockey, Pferdepfleger und Kutscher.

Eine gute Zeit sei es gewesen, sagt Uwe M., er liebt Tiere, und Pferde ganz besonders. Er arbeitete unter anderem für eine Münchner Brauerei und fuhr mit schweren Wagen, vor die prächtig geschmückte Rösser gespannt waren, Bierfässer durch die Landeshauptstadt. Dann verschlug es ihn an die Nordsee: Auf Sylt betreute der Bayer die Pferde der High Society, vom Stahlmagnaten bis zum Großverleger. Mit den Besitzern der Pferde sei er stets gut ausgekommen, sagt er, sie hätten seine Arbeit geschätzt, vor allem die ruhige Art, die er im Umgang mit den nicht immer einfachen Tieren hatte. "Man muss Vertrauen zu den Pferden aufbauen können", sagt er.

Seine Arbeit umfasste nicht nur das Pferdeflüstern. Auch das Schleppen von Bierfässern gehörte dazu, Sättel und Geschirre mussten geputzt, die Tiere gestriegelt und ihre Boxen täglich mehrfach ausgemistet werden. All das schlug sich irgendwann auf die Gesundheit nieder. Arthrose machte sich in den Knien und dem Ellbogengelenk breit. Dazu kamen Lungenprobleme, Diabetes und ein Unfall. Als ein Hund eines der Pferde in die Hinterbeine zwickte, schlug es aus, traf aber nicht den Hund, sondern Uwe M. Mit einem Leberriss und schweren inneren Verletzungen kam er ins Krankenhaus und hörte schon eine Schwester sagen: "Der steht uns nicht mehr auf".

Doch Uwe M. erholte sich. Mit Mitte 50 war dennoch klar, dass er den Beruf nicht weiter ausüben konnte. Er sattelte um und bot fortan Hausmeisterdienste an. Bis mit 66 Jahren die körperliche Arbeit endgültig zu schwer wurde. Was folgte, war ein Schock: Sein Beruf mochte zwar seine Leidenschaft gewesen sein, doch was seine Arbeitgeber an Beiträgen einbezahlt hatten, ergab nur eine minimale Rente. Sie reicht heute nicht mal für das Nötigste.

Also lebt Uwe M. heute in einem einzelnen, kleinen Zimmer, das nicht größer ist als eine Box seiner früheren Pflegepferde. Darin stehen ein durchgelegenes Klappbett in einer zerschlissenen Wohnwand, eine alte Kochplatte, ein Tisch, ein Stuhl, das ist alles. Uwe M. jammert dennoch nicht. Das ist nicht seine Art, und das tat er auch nicht, als kürzlich der Receiver seines kleinen, alten Fernsehers kaputt ging und er sich keinen neuen kaufen konnte. Nicht einmal Spazierengehen kann er momentan, obwohl der Arzt das empfiehlt und ihn das wenigstens für kurze Zeit aus der Enge des kleinen Zimmers befreien würde. Denn Uwe M.s Rente reicht für neue Winterschuhe ebenso wenig wie für ein neues Fernsehgerät.

© SZ vom 13.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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