SZ-Adventskalender:Der größte Wunsch: eine neue Matratze

Lesezeit: 4 min

Josefine K. musste mit vielen Schicksalsschlägen fertig werden. Sie hatte sich einen schönen Lebensabend mit ihrem Mann vorgestellt. Doch der erkrankte an Demenz. Nun werden kleinste Anschaffungen zum Problem. In Lenggries kümmert sich ein Verein um einsame Senioren

Von Alexandra Vecchiato, Bad Tölz-Wolfratshausen

Es gibt Lebensgeschichten, die von so vielen Schicksalsschlägen begleitet werden, dass es kaum vorstellbar ist, wie ein Mensch all die Trauer, die Schmerzen und das Leid ertragen kann. Josefine K. (Name geändert) musste ihre 19-jährige Tochter begraben, schwere Krankheiten durchstehen - und hatte einen großen Wunsch: "Im Alter, wenn unsere jüngere Tochter und die Enkel aus dem Gröbsten raus sind, das Leben mit meinem Mann genießen, noch ein bisserl wegfahren, die Verwandten besuchen." Das sollte der 76-Jährigen und ihrem ein Jahr älteren Ehemann nicht vergönnt sein. Ihr Mann ist schwer an Demenz erkrankt.

Er sei früher wie ein Lamm gewesen, erzählt Josefine K. Ihr Mann habe seine Kinder vergöttert, ihr immer im Haushalt geholfen. Und er sei stets gerne an der frischen Luft gewesen. Bis ihr eines Tages aufgefallen sei, dass er manchmal teilnahmslos dasitze. Auf Nachfrage, ob ihm was fehle, wusste er keine rechte Antwort zu geben. Dafür hatten die Ärzte eine Diagnose. Es handle sich um eine "handfeste Demenz", hört Josefine K. noch heute den Doktor sagen.

Demenz hat viele Gesichter. Es fällt der 76-Jährigen nicht leicht zu erzählen, wie sich ihr Ehemann durch die Krankheit verändert hat. Zunächst wollte sie ihn zu Hause pflegen. Doch dann kam eine Nacht im Jahr 2014, als ihr Mann mit unbändiger Kraft einen Wandschrank im Schlafzimmer herunterriss. "Wie er das gemacht hat, weiß ich bis heute nicht." Er wurde in die Psychiatrie an der Kreisklinik Agatharied eingeliefert. Das war jedoch nicht der richtige Ort für ihn. Immer wieder holte Josefine K. ihren Mann zurück nach Hause. Aber seine aggressiven Ausbrüche machten es letztlich unmöglich, dass sie sich selbst um ihn kümmerte. Nun lebt er in einem Pflegeheim. "Und darf nicht sterben", sagt Josefine K. unter Tränen.

Dann erzählt sie von ihrer ältesten Tochter, die bei einem Unfall ums Leben kam. In diesem Jahr wäre sie 48 Jahre alt geworden. Ein Trost sind ihr die Enkel, die Kinder der zweiten Tochter. Die Enkelin komme regelmäßig, um ihr einzukaufen, erzählt sie. Viel kann sich die 76-Jährige nicht leisten. Sie lebt von 252 Euro im Monat. Von der Rente ihres Mannes werde zwar die Miete bezahlt, aber der Löwenanteil wird für die Pflegeheim-Kosten benötigt. Kleinste Anschaffungen werden zum Problem.

Josefine K. ist eine bescheidene Frau. Sie brauche nicht viel und würde am liebsten in eine kleinere Wohnung umziehen, sagt sie. Hilfe anzunehmen widerstrebt ihr. Kein Einzelfall, weiß Birgitta Opitz vom Verein "Nur a bisserl Zeit" zu berichten. Die Leute schämten sich einfach. 2006 wurde der Verein auf Initiative der Lenggrieserin gegründet. Acht Ehrenamtlichen begannen damals, Senioren in der Brauneck-Gemeinde zu unterstützen. Es gehe dabei nicht nur um eine finanzielle Hilfe, sondern auch darum, die "Verarmung der Seele" zu lindern. Denn das Alleinsein sei ebenso ein großes, drängendes Problem wie die wachsende Altersarmut, die besonders Frauen betreffe.

Drei Viertel der Betreuten seien Frauen, die mit kleinen Renten auskommen müssten, auch wenn sie ihr Leben lang gearbeitet hätten. Dazu kämen noch Frauen, die früh Witwen wurden oder Alleinerziehende. Es sei eine Spirale, sagt Opitz. Vereinsamung führe zu Depression, schließlich würden die Betroffenen größere Menschengruppen scheuen und sich noch einsamer fühlen. Da sein, zuhören, wie der Vereinsname impliziert "ein bisschen Zeit haben", das sei ihre Intention gewesen, sagt Opitz.

Altersarmut: Eine ältere Dame zählt die Münzen in ihrem Geldbeutel. (Foto: Catherina Hess/Catherina Hess)

Jene Menschen aufsuchen, die von selbst kaum mehr die eigenen vier Wände verließen. "Es geht darum, die Hilfe nach Hause zu tragen." Der Verein organisiert Einkaufshilfen, Arztbegleitung, Fahrdienste und vieles mehr. Er veranstaltet Basare und organisiert die Lenggrieser Tafel. 50 bis 60 ehrenamtliche Helfer seien unterwegs. Zu Hause betreut würden 15 bis 20 Personen. So sei auch der Kontakt zu Josefine K. entstanden, sagt Opitz.

Nur zögerlich nennt Josefine K. einen Wunsch. Im September dieses Jahres kam ein weiterer Schicksalsschlag hinzu. Eine Heizdecke in ihrem Bett begann zu brennen. Matratze und Bettdecke sind nicht mehr zu gebrauchen. Ersatz ist unerschwinglich für die Rentnerin. Dann wäre da noch der 17 Jahre alte Kühlschrank. Sie bete jeden Tag, er möge nicht kaputt gehen. Vielleicht noch einen neuen kleinen Tisch. Der alte wackle. Und ein Rührgerät, wo sie doch so gerne Süßspeisen mache. Dafür fehlt das Geld. Eine Spende des Adventskalender der Süddeutschen Zeitung könnte dies ändern.

Finanzielle Unterstützung kann auch der Verein "Nur a bisserl Zeit" gebrauchen. Durch Spenden finanziert er seine Hilfen für Bedürftige. Zweimal im Monat organisiert der Verein ein Seniorenfrühstück imLenggrieser Pfarrheim. Das Angebot wird auch vom Pflegeheim genutzt. "Damit die Senioren dort auch mal rauskommen", sagt Birgitta Opitz. Drei Pfund Wurst, 100 Semmeln, 30 Eier, ein Kilogramm Käse, Obst und Joghurt gibt es pro Treffen. "Das Frühstück soll übers Mittagessen hinaus reichen." Bedient werden die Senioren vom Team der Schülerübungsfirma der Hauptschule Lenggries. "Ohne die würde es nicht gehen", betont Opitz. Der Verein arbeitet überkonfessionell und überparteilich. "Es ist nicht von Belang, wie die Menschen in Not geraten sind." Natürlich behalte man sich vor, die Bedürftigkeit zu überprüfen. Die meisten "Kunden" hätten eine Sozialcard.

Über die Tafel hat Birgitta Opitz die 51 Jahre alte Berta Z. (Name geändert) kennengelernt. Auch sie braucht Unterstützung. Aufgrund einer Hautkrankheit kann sie ihrem Beruf als Steuerfachkraft nicht mehr nachgehen. Sie musste schon früh in Rente gehen. Mit ihrer Schwangerschaft sei die Krankheit gekommen, die in Schüben verläuft. Gerne spricht die 51-Jährige nicht darüber. Zu tief sitzen Frustration und Verärgerung. Frust darüber, nicht mehr zuverlässig im Leben stehen zu können Tag für Tag; Ärger deshalb, weil eine Leistungsgesellschaft Menschen wie sie nicht akzeptiere, sagt Berta Z.

Knapp 500 Euro beträgt ihre Rente, zudem bezieht sie Sozialleistungen. Dennoch: Große Sprünge kann sie nicht machen, geschweige denn ein neues Bett mit Matratze und Lattenrost kaufen. Mit Holzbrettern hat sie ihr Bett notdürftig repariert. Ihrer Gesundheit ist dieser Zustand nicht zuträglich. Man werde genügsamer, sagt sie. Manchmal würde sie am liebsten aufgeben. Auf Hilfe mag sie kaum noch hoffen.

© SZ vom 05.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: