Stiftung Nantesbuch:Wörter in der Schwebe

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Das zweite Moosbrand-Festival wird mit Lesungen und einer Uraufführung eröffnet. Kunst und Natur sind wie immer Programm

Von Paul Schäufele, Bad Heilbrunn

Wenn die Wörter dann so sauber und ordentlich aufs Blatt gekommen sind, dass die Zeilen übereinanderliegen wie die Fasern eines kostbaren Gewebes, könnte man meinen, es handele sich um ein abgeschlossenes Projekt, einen abgesteckten Bereich, gesäumt und der stummen Betrachtung überlassen. Der Anschein trügt. Texte provozieren dazu, die Fäden zu lösen, daran anzuknüpfen und weiterzuspinnen. Im Langen Haus der Stiftung Nantesbuch wurde das am Donnerstagabend vor allem an den Texten der dänischen Lyrikerin Inger Christensen eindrucksvoll demonstriert. Mit Lesungen und einer Konzerturaufführung fand die Eröffnung des zweiten Moosbrand Literatur- und Musikfests statt. "Die Welt in der Schwebe" war das Motto des Abends, der dabei der thematischen Setzung gerecht wurde, Natur und Kunst kreativ zu vereinen.

Grandseigneur der Szene: Michael Krüger las aus seinen Gedichtbänden. (Foto: Manfred Neubauer)

Denn das haben Wetter und Worte gemeinsam: Sie sind instabil, in der Schwebe, sie können kippen. Vom Sonnenschein zum Regenschauer, von Bedeutung zu Sinnlosigkeit. Die atmosphärischen Bedingungen hätten also nicht besser sein können, als Felix Reinstadler mit dem Vortrag seines Textes "Grün lesen" begann - im Hintergrund das Trommeln des Regens aus dem tagsüber noch klaren Himmel. Reinstadlers Text, entstanden während der Meisterklasse der Lesenden Künste in Nantesbuch, versteht sich als Auseinandersetzung mit Werken Christensens. Die 2009 verstorbene Grande Dame der dänischen Lyrik verstand Schreiben als natürlichen Prozess, auch wenn sie - studierte Naturwissenschaftlerin und Mathematikerin - ihre Gedichte oft nach vertrackten Regeln komponierte. Das merkt man ihnen nicht an, ebenso wenig wie man einer Pflanze die Gesetzmäßigkeiten anmerken würde, die ihren Bau bestimmen. "Das Gedicht grünt", heißt es bei Reinstadler. Es wächst und wuchert und gewinnt an Kraft durch Einwirkungen von außen.

Sängerin Jelena Kuljic gestaltete die Uraufführung des Konzerts über Inger Christensens "det/das" mit. (Foto: Manfred Neubauer)

In Reinstadlers Fall ist es vor allem die zweisprachige Lektüre der Gedichte Christensens, etwa ihr Langgedicht "det". Auf Deutsch und Dänisch zu lesen wird bei Reinstadler zur Sinnerfahrung: "Was da steht, steht dort, nur anders, und umgekehrt." Faszination löst das "Es" aus: unersetzbar im Deutschen und trotzdem ewig unbestimmt. Der immer rascher und mit brüchiger Stimme vorgebrachte Text spricht vom Spiel der Verweise zwischen den Texten verschiedener Sprachen, bis zum Punkt, an dem diese Verweise nichts mehr bedeuten und der Sinn zum Unsinn gerinnt. Was bleibt, ist das Spiel, das Springen zwischen den Wörtern, teils vergnüglich, teils frappierend.

Mit Lesungen und einer Konzerturaufführung fand die Eröffnung des zweiten Moosbrand Literatur- und Musikfests statt. (Foto: Manfred Neubauer)

Den Aspekt des Schau-Spiels im Werk Christensens rückte Maximilian Zahn in den Vordergrund, auch er Teilnehmer der Meisterklasse. "Det", auch als "das" übersetzt, ist bei ihm eine Geste: der ausgestreckte Zeigefinger. Eine Geste, mehr auch nicht, denn das Wort hat Begleitung nötig, es ist "zur Gemeinschaft mit anderen Wörtern gezwungen". Die aber sind spielerisch und versuchsweise austauschbar. Das Theater sei der Raum für diese Versuche, ein Raum ohne "identitäre Fixierung". Seine Polemik gegen Begriffe, die sprachliche Versuche von vornherein ausschlössen wie "Migrationsmanagement" oder "Anti-Abschiebe-Industrie" wirkte da jedoch merkwürdig deplatziert.

Es folgte eine weitere Lesung, und doch hätte der Kontrast nicht größer sein können: Nach der sensibel-nervösen Schriftstellerjugend nun Michael Krüger, der gar nicht anders kann, als für ein halbes Jahrhundert Literaturbetrieb zu stehen. Er las aus seinen Gedichtbänden, darunter der jüngst erschienene "Einmal einfach". Es sind schlichte, reimlose Verse, in denen Krüger von einer Vergangenheit spricht, in der Wörter wie "Brennschere", "Kunsthonig" oder "Warmbier" noch Bedeutung hatten und in der Familien mit zwei Büchern auskamen: der Bibel und einem Pflanzenbestimmungsbuch. Das Buch der Bücher und das Buch der Natur, darauf bauen Krügers Gedichte auf. "Ich schreibe über Gras und Wellen und ein bisschen Philosophie, aber vor allem über Gras und Wellen", sagt er. Darin zeigt sich die Freude am genauen Beobachten, aber auch der Wunsch, Dinge zu speichern und vor dem Vergessen zu bewahren: "Würdest du mir jetzt eine Saubohne zeigen, ich würde umfallen vor Glück." Gedichte seien die haltbarste Gattung, sagt Krüger, rätselhaft oft und "misstrauisch", aber welthaltig.

Das Spiel mit Bedeutungen und Sinnverschiebungen fand seinen Höhepunkt in der Uraufführung der Komposition "det/das" des Duos Sebastian Vogel und Thomas Kürstner. Mit Instrumentalisten, Sängern und Sprecherin fanden sie eine Möglichkeit, Christensens Schöpfungsgedicht und die immer brüchige Sinngebung performativ umzusetzen. In Teilen frei atonal, in Teilen vom Jazz inspiriert, dann im strengen Choralsatz, gesungen, gesprochen und geschrien. An die Wand wurde der Text projiziert und mit Durchstreichungen und Kommentaren bearbeitet: das Werk als Fluidum, Bezüge austauschbar. Hier wurde agiert, "so daß ein phantastisches schauspiel entsteht", wie es in Christensens Text heißt. Das Versprechen wurde eingelöst. Am Ende stehen keine Lösungen, sondern eine intensive Erfahrung des Vorläufigen - die Welt ist in der Schwebe wie die Wörter.

© SZ vom 15.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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