Spannende Alternative:Jazziges Oratorium

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Bach mit Saxofon und E-Gitarre: Ungewöhnliche Kombination in Iffeldorf

Von Sabine Näher, Iffeldorf

"Als ich vor 13 Jahren hier zum ersten Mal Bachs Weihnachtsoratorium aufführte, dachte ich, das müsste man mal verjazzen", erzählt Andrea Fessmann bei ihrer Begrüßung des rappelvollen Saals im Gemeindezentrum Iffeldorf am Samstag. Nun ist ihr Wunsch in Erfüllung gegangen: Der Leipziger Jazzmusiker Stephan König hat Hand angelegt an die Bachsche Partitur, einiges original belassen, an anderen Stellen Jazzelemente hinzu gefügt und schließlich ganz neue Passagen geschrieben oder den Raum für die improvisatorische Ausgestaltung durch das Stephan König Jazz-Quartett vorgegeben.

Das funktioniert in der praktischen Umsetzung meistens sehr gut und macht allen Beteiligten auf dem Podium wie im Saal sichtlich Spaß. Konkret hat man sich das wie folgt vorzustellen: Der Eingangschor "Jauchzet, frohlocket" hebt an wie allseits bekannt, den KlangKunstChor begleitet das Iffeldorfer Bachorchester mit Streichern, Bläsern und Orgelpositiv. Am Cembalo sitzt Stephan König.

Die Leitung liegt in den bewährten Händen von Andrea Fessmann, die ihre Ensembles wie immer nicht nur durch ihr Dirigat lenkt, sondern auch durch ihre überaus positive Ausstrahlung motiviert. Dann wechselt König rasch an den Flügel und lässt das eben Gehörte, allzu Vertraute aus seiner Sicht Revue passieren. Statt der Chorsänger jauchzt nun das Saxofon Reiko Brockelts. Im ersten Moment ein Bruch; das Gefühl der Irritation ist aber sofort überwunden und macht der Neugierde Platz, sich in diese neuen musikalischen Welten hineinführen zu lassen.

Es folgt das erste Evangelistenrezitativ - mit Cembalo, aber E-Gitarre statt Laute. Passt! Für den Leipziger Tenor Martin Petzold sowieso: Er hat schon vor Jahren ein Bach-Jazz-Programm mit König entwickelt, das beide oft und gerne aufführen. Während Petzold seinen klassischen Gesang dabei im Wesentlichen beibehält, bringt die folgende Alt-Arie "Bereite dich, Zion" nun völlig ungewohnte Klänge: Anna Holzhauser macht daraus eine ganz entspannte Jazznummer. Der Gefühlsgehalt der Arie - Zartheit bis zur Zärtlichkeit, Liebe, Schönheit - vermittelt sich dabei wunderbar.

Den bei Bach für den gesamten Chor bestimmten Choral "Wie soll ich dich empfangen" hat König nun der ebenfalls klassisch ausgebildeten Sopranistin Barbara Fleckenstein anvertraut; begleitet wird sie von einem Summchor. Das ist an sich sehr schön, aber wer die herrlichen Chorsätze Bachs liebt, kommt hier nicht wirklich auf seine Kosten.

In der ersten Bass-Arie "Großer Herr, o starker König" kommt nun der zweite Jazzsänger zum Einsatz: Maximilian Höcherl, kurzfristig für einen erkrankten Kollegen eingesprungen, bezaubert zwar mit einer samtigen Wohlfühlstimme, aber diese verspielte Jazznummer hat mit der Erhabenheit und Pracht, die die barocke Arie ausdrücken, nichts zu tun. Dieser anfängliche Eindruck bleibt bestehen: Königs Vorgehen ist, wenn es ein versierter Musiker wie er angeht, allemal legitim.

Aber manchmal passt es besser - wie in der Tenor-Arie: "Nun mögt ihr stolzen Feinde schrecken", die großartig umgesetzt ist -,, manchmal weniger, wie in der Chordarbietung: "Herr, wenn die stolzen Feinde schnauben", der in seiner Kunstfertigkeit und Virtuosität doch etwas sehr demontiert wird - was gewiss in Königs Absicht lag.

Ob man das nun als Defizit oder als Bereicherung empfindet, ist Ansichtssache. Wie König mit den Stilelementen spielt, sie verschränkt oder bewusst gegeneinander setzt, ist in jedem Falle eindrucksvoll. Und wie sich etwa aus der erwähnten Tenor-Arie geradezu eine Jamsession entwickelt, in der erst Brockelt am Saxofon, dann Wieland Götze am Schlagzeug ausufernde Soli gestalten, bringt den Saal zum Toben.

Erwähnt sei noch die geniale Idee, die Sänger mit dem Ende des Chores "Lasset uns nun gehen nach Bethlehem" in den Saal und hinaus in die Pause gehen zu lassen. Aber solch choreografische Spielereien würden Bach heute sicherlich auch einfallen.

Alles in allem ist das verjazzte Weihnachtsoratorium kein Ersatz für das Original, aber eine spannende Alternative, die auch bei Johann Sebastian Bach wieder neu hinhören lässt.

© SZ vom 11.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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