Späte Ehrung in Bad Tölz:Kämpfer für die Demokratie

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Tölzer Stadträte wollen eine Straße nach Michael Deschermeier benennen. Der Sozialdemokrat und ehemalige KZ-Häftling war einst Zweiter Bürgermeister der Stadt und ein entschiedener Gegner der Nazis.

Von Klaus Schieder, Bad Tölz

Mit heiklen Straßennamen hat Bad Tölz seine Erfahrung gemacht. Vier Jahre ist es her, als eine Diskussion über die Hindenburgstraße begann. Anders als in Icking mit dem Wenzberg und in Dietramszell mit der Hindenburgbüste löste man das Problem in der Kurstadt geräuscharm: Der Name des ehemaligen Reichspräsidenten blieb, aber seine fatale Rolle in der Weimarer Republik und vor allem bei der Ernennung von Adolf Hitler zum Reichskanzler wurde an zwölf Info-Stelen von der Marktstraße bis zur Stadtbücherei veranschaulicht. Ganz anders ist der Fall gelagert, der jetzt zur Debatte steht: Eine Straße soll nach dem SPD- und Gewerkschaftsführer Michael Deschermeier (1885 - 1945) benannt werden, der unter den Nazis im KZ Dachau inhaftiert war. "So soll auf diesen außergewöhnlichen Sozialdemokraten aufmerksam gemacht werden", begründete Willi Streicher (SPD) einen entsprechenden Antrag im Tölzer Stadtrat.

Der Name von Deschermeier ist in der Kurstadt kaum noch bekannt. Ein profunder Kenner dieses mutigen Kämpfers für die Demokratie im Oberland ist der Tölzer Josef Förster, der unlängst in einem Vortrag vor dem Historischen Verein das Leben und Wirken des Sozialdemokraten nachzeichnete. Deschermeier, der in Kötzting geboren wurde, lernte das Malerhandwerk, wurde im Ersten Weltkrieg durch einen Lungenschuss schwer verwundet und kam 1918 nach Bad Tölz. Nach seiner Heirat mit Therese Rein wohnte er bis zu seinem Tod in der Messerschmiedgasse im Altstadtviertel Gries.

Politisch trat er in Tölz gleich nach der Novemberrevolution in Erscheinung. Er sprach am 17. November 1918 auf einer öffentlichen Versammlung des sozialdemokratischen Vereins zur Arbeiterschaft. Nur eine Woche später wurde er in den Tölzer Arbeiterrat gewählt und wurde dessen Vorsitzender. Ein Fanatiker war er jedoch nicht. Er zeigte sich kompromissbereit, wenn es um die Zusammenarbeit mit etablierten Kräften ging - was dazu beitrug, dass etwa die Versorgung mit Kartoffeln und Getreide für Brot im Winter 1919 in Tölz noch einigermaßen gesichert war. Später zog Deschermeier für die Mehrheitssozialdemokraten in den Tölzer Stadtrat ein. Er war Kreisrat, Bezirksrat und SPD-Kreisvorsitzender. Er sei ohne Zweifel "die anerkannte Führungspersönlichkeit der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung in Bad Tölz und im Altlandkreis" gewesen, betont Förster.

Außerdem war er ein entschiedener Gegner der Nazis. Am Ende der Weimarer Republik trat er immer wieder als Redner gegen die NSDAP auf. Noch fünf Wochen nach der Machtergreifung Hitlers sprach er im Schaftlerbräu in Bad Tölz. "Eindringlich warnte er vor den Versprechungen der Nazis", daran erinnert Förster. Zusammen mit Georg Huber saß er im April 1933 noch im neu gewählten Tölzer Stadtrat. Beide verzichteten jedoch auf ihr Amt nach dem Verbot der SPD.

Im Juni 1933 folgten Hausdurchsuchungen der SA. Am 30. Juni wurde Deschmeier ins Konzentrationslager Dachau gebracht. Er war tags zuvor an seiner Arbeitsstelle verhaftet worden und hatte die Nacht im Tölzer Gefängnis verbringen müssen. Der Sozialdemokrat wurde im August wieder aus dem KZ entlassen. Seine Wohnung in der Messerschmiedstraße wurde ein heimlicher Treffpunkt für Nazi-Gegner. Sie hörten dort "Feindsender" und diskutierten über die Lage im Land. Gleich nach dem Ende der Nazidiktatur wurde er von der amerikanischen Militärregierung zum Zweiten Bürgermeister von Tölz ernannt. Allerdings starb er bald danach am 20. November 1945.

Die Erinnerungen an den aufrechten Sozialdemokraten sind seit Jahrzehnten verblasst. Dies liegt für Förster vor allem daran, dass von der "tonangebenden bürgerlichen Seite" vormals kein Interesse an einer Würdigung oder gar Ehrung Deschermeiers bestand. Im Gedächtnis dieser Kreise seien die Novemberrevolution und die Räterepublik negativ besetzt - und die Sozialdemokratie dafür verantwortlich gemacht worden. Auch Willi Streicher erinnerte nun im Stadtrat daran, dass noch immer "das Versprechen im Raum steht", eine Straße nach Deschermeier zu benennen. "Das darf man nicht vergessen."

Dem stimmte Christof Botzenhart (CSU) zu. "Es ist Zeit, das aktiv anzugehen und an diesen Demokraten der ersten Stunde zu erinnern", sagte der Dritte Bürgermeister und stellvertretende Vorsitzende des Historischen Vereins. Allerdings plädierte er dafür, die Perspektive zu erweitern und auch Anton Holzner in den Blick zu nehmen, der ebenfalls ein Gegner der Nazis und von 1946 an Bürgermeister von Tölz war. Außerdem müsse man sich in diesem Zusammenhang noch mit Alfons Stollreither befassen, so Botzenhart. Der langjährige Bürgermeister von Tölz trat 1933 gleich in die NSDAP ein und war fortan ein willfähriges Instrument der Nazis. Noch immer ist nach ihm eine Promenade im Isarufer benannt. Die Frage der Straßennamen sei "keine Entscheidung, die man bei so sensiblen Fragen leicht übers Knie brechen kann", sagte Botzenhart.

Die Stadt Bad Tölz verfährt deshalb ähnlich wie bei der Hindenburgstraße: Sie setzt eine Kommission ein. Dieser Arbeitsgruppe sollen Stadtarchivar Sebastian Lindmair, Josef Förster, Redakteur Christoph Schnitzer, Stadtrat Franz Mayer-Schwendner (CSU) sowie Botzenhart als Leiter angehören. Bis Mitte 2019 werde man dem Stadtrat dann "Vorschläge zur weiteren Verfahrensweise" vorlegen, kündigte Botzenhart an. Bürgermeister Josef Janker (CSU) zeigte sich zuversichtlich, "dass sich eine gute, fundierte Lösung finden wird".

© SZ vom 24.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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