Serie:"Europa ist eine große Herausforderung"

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Der Belgier Erno Vroonen fühlt sich in Dietramszell heimisch.

Von Petra Schneider

28 Mitgliedsstaaten hat die Europäische Union, als vorerst letztes Land kam 2013 Kroatien dazu. Am 25. Mai dürfen gut 507 Millionen Menschen die 751 Abgeordneten des Europa-Parlaments neu wählen. Die Grenzen sind offen, wer will, kann sich in einem anderen Land der EU Wohnung und Arbeit suchen. Menschen aus den meisten Mitgliedsstaaten leben auch im Landkreis. Die SZ stellt einige von ihnen vor.

Von Kindheit an war Erno Vroonen Deutschland nah: durch das deutsche Kinderfernsehen, das man in seiner Heimat, der belgischen Kleinstadt Tongeren, empfangen konnte. Oder die Märklin Eisenbahnen, die es im nahen Aachen zu kaufen gab. Vor 18 Jahren ist er nach Deutschland gezogen, der Liebe wegen. Der 57-Jährige spricht Deutsch mit niederländischem Akzent, denn Tongeren liegt im flämischen Teil des Landes.

Belgien ist ein Bundesstaat mit drei Regionen und Sprachgemeinschaften: Im Norden die Flamen, die Niederländisch sprechen, im Süden die Französisch sprechenden Wallonen, im Zentrum die zweisprachige Region Brüssel-Hauptstadt. Im Osten des Landes wird vielfach Hochdeutsch gesprochen. Zusammengehalten wird das Land vom belgischen Königshaus. "Bei uns sagt man, ohne den König gäbe es Belgien nicht mehr."

In jüngster Zeit nähmen die Abspaltungstendenzen des wohlhabenden Flandern wieder zu, sagt Vroonen. "Aber was würde dann mit Brüssel passieren?" Brüssel ist nicht nur Haupt- und Residenzstadt des Königreichs, sondern auch Hauptsitz der Europäischen Union und Sitz der Nato. Die Stadt sei zu Recht "das Herz Europas", findet Vroonen. Denn in kaum einem anderen Land mischten sich so viele unterschiedliche Einflüsse, bedingt auch durch die "Pufferlage" zwischen den Niederlanden, Deutschland, Luxemburg und Frankreich. Die Spannungen auszuhalten und den Dialog nicht abreißen zu lassen, das hätten die Belgier gelernt.

Vroonen hält eine europäische Einheitskultur nicht für erstrebenswert. Viele Menschen identifizierten sich mit ihrer Region, weil sie greifbarer sei als ein großes, heterogenes Gebilde wie Europa. Man müsse das akzeptieren und mit den Differenzen leben. "Europa ist eine große Herausforderung", findet Vroonen. Und eine Chance, vor allem in der Kultur, wo offener Austausch inspirierend sei. Vroonen ist Kunsthistoriker, er organisiert Ausstellungen und berät Kunstsammlungen in München und in Belgien.

Die EU bringe natürlich auch Nachteile mit sich. Die Mehrwertsteuer auf Kunstgegenstände zum Beispiel, die früher bei sieben Prozent lag, sei nun einheitlich auf 19 Prozent angehoben worden. Zur Wahl will Vroonen auf jeden Fall gehen, das sei selbstverständlich. Vor 16 Jahren ist er nach Dietramszell gezogen, seit kurzem ist er Vorsitzender des örtlichen Kulturvereins. Das Leben im Dorf gefällt ihm, er schätzt die natürliche Art der Leute. Inzwischen fühle er sich hier heimischer als in Belgien, auch ohne deutschen Pass. Das liege auch an den sprichwörtlichen deutschen Tugenden: den klaren Strukturen, der Verlässlichkeit, dem Gefühl von Sicherheit und Ordnung. "Dass man in München nachts ohne Bedenken U-Bahn fahren und einen Koffer am Hauptbahnhof abstellen kann, ohne dass der gleich geklaut wird".

Was er bei den Deutschen vermisst, ist die Fähigkeit zur Selbstironie. "Eine bestimmte Art von Hümor", wie Vroonen sagt. Und noch etwas fehlt ihm: die Nordsee. "Der Bayer will hoch hinaus, ich lieber in die Weite."

© SZ vom 12.05.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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