Schnupftabak-Stammtisch:Der Stoff, der in die Nase geht

Seit 43 Jahren treffen sich die Schmaizl-Brüder beim Neuwirt in Sachsenkam. Das Dorfleben bereichern sie seit jeher auch in kultureller Hinsicht

Von Benjamin Emonts, Sachsenkam

Auf den ersten Eindruck ist es ein ganz normaler Stammtisch in einem urigen Wirtshaus. Wie es sich gehört, sitzen echte Mannsbilder in der Runde, sie sprechen Bairisch, trinken Helles und ziehen sich gegenseitig auf. "Sein Zinken hält alles aus", sagt einer und zeigt auf die Nase vom Hans. Alle lachen. Dann schreiten die Schmaizl-Brüder aus Sachsenkam zur Tat. Um Punkt 21 Uhr, dem offiziellen Beginn der Zeremonie, klopfen sie mit ihren Döschen auf den Tisch und kippen sich kleine Häufchen auf ihre Handrücken. Mit einem Zug ist das braune Pulver - der Schmalzler - weg. "Wir müssen zum Rauchen nicht rausgehen", sagt der Vorsitzende Josef "James" Bacher - und alle lachen wieder.

So geht das mittlerweile seit 43 Jahren. Wie immer am ersten Dienstag im Monat treffen sich die Sachsenkamer Schmaizl-Brüder an ihrem Schnupferstammtisch im Neuwirt, einer von vier Gaststätten in der Gemeinde mit insgesamt 16 Vereinen. Das Ambiente könnte heimatlicher nicht sein. Draußen der kleine gemütliche Biergarten mit Kastanienbaum, Holztischen und Sonnenschirmen, drinnen die holzverkleidete Gaststube mit Schenke, Stammtisch und Schützenscheiben. Der Sinn ihrer Treffen ist ganz simpel: Man verbringt Zeit miteinander, ratscht, macht Brotzeit, trinkt Bier und zieht Schnupftabak miteinander. "Wir wollen den Zusammenhalt und die Geselligkeit der Dorfgemeinschaft fördern und die altehrwürdige Kultur des Schnupfens bewahren", sagt Vereinsvorsitzender James Bacher.

Schmaizl-Brüder Sachsenkam

Hans Bacher war schon dabei, als die Sachsenkamer Schmaizl-Brüder sich im Jahr 1975 gegründet haben.

(Foto: Manfred Neubauer)

Hans, sein Bruder, wirkt am Stammtisch leicht verschnupft, vermutlich deshalb, weil er schon ein bisschen zu viel geschnupft hat in seinem Leben. Er sei "ein Mann der ersten Stunde", sagt er über sich selbst. Hans Bacher war schließlich dabei, als ein paar junge Burschen aus Sachsenkam im Jahr 1975 eher zufällig in einen Schnupf-Wettbewerb in Brunnthal bei München gerieten. Diese erste Erfahrung blieb damals nicht nur in ihren Nasen haften. Nur wenige Tage nach dem Wettbewerb, am Abend des 24. April 1975, gründeten die zwölf Männer im Neuwirt ihren eigenen Schnupfverein: die Schmaizl-Brüder Sachsenkam. Das Schnupfen, davon sind sie seit jeher überzeugt, gehöre schließlich ebenso zum bayerischen Kulturgut wie Schuhplatteln oder Maibaumklauen. Und so wird es auch zelebriert.

Jedes der Mitglieder hat seine eigene Schnupftabakdose. Fast alle Tabake stammen aus marktführenden Firmen in Landshut oder Regensburg, einzig Kassier Hubert Ludwig wagt sich manchmal an exotischere Tabake aus dem Internet heran - aus Indien, Namibia oder England. Die Geschmacksrichtungen reichen von Himbeere über Bubble-Gum bis zu Fichtennadel. Jeder schwört auf seinen eigenen Stoff, der bereitwillig zum Probieren angeboten wird. Nach dem Konsum lässt man das Nikotin zunächst über die Nasenschleimhäute wirken. Danach, so handhaben es die meisten, wird das braune Zeug wieder aus der Nase geschnäuzt. Stoff- oder Papiertaschentücher gehören unbedingt zur Ausstattung des Schmaizl-Bruders.

Schmaizl-Brüder Sachsenkam

Antje Rothe übt für die nächste Meisterschaft. Außer ihr gehören noch 24 Frauen dem Verein an, der sich einmal im Monat trifft.

(Foto: Manfred Neubauer)

Besonders turbulent wird es bei den Schnupfmeisterschaften, die der Verein einmal im Jahr austrägt. Kurz gesagt ist das Ziel, in einer bestimmten Zeit möglichst viel Schnupftabak in seiner Nase unterzubringen, ohne ihn aber ganz hochzuziehen. Jeder Teilnehmer beginnt mit einer handelsüblichen Zehn-Gramm-Dose und bekommt drei Minuten Zeit dafür. Danach wird der Rest in der Dose mit einer Feinwaage abgewogen und das Ergebnis ermittelt.

Monika Wolfert hält mit 6,34 Gramm den Rekord der Frauen, Christian Oswald, der insgesamt 17 Mal und sage und schreibe 15 Mal hintereinander gewonnen hat, mit neun Gramm bei den Männern. Am Stammtisch sieht man den Champion allerdings selten, wie seine Kollegen beklagen. "Der kommt nur zum Gewinnen. Der hat eigentlich eine verhältnismäßig kleine Nase, aber die beste Technik." Mit großem Respekt sprechen die Männer aber auch über Seriensiegerin Lore März, die gefühlt schon immer dabei ist.

Für die Gemeinde Sachsenkam haben die Schmaizl-Brüder eine große kulturelle und gesellschaftliche Bedeutung. Aktuell zählt der Verein 158 Mitglieder (darunter 25 Frauen), das macht einen Anteil von etwa zwölf Prozent der Gesamtbevölkerung Sachsenkams (1300 Einwohner) aus. Jedes Jahr führen die Schmaizl-Brüder abwechselnd mit dem Trachtenverein ein Bauerntheater auf. Die alte Bühne haben sie gemeinsam hergerichtet. Berüchtigt sind die Schmaizler auch für ihre Gaudiveranstaltungen. Neben einer Radlrallye, maskierten Schubkarrenrennen und Demonstrationen wurden auch schon Wettkämpfe im Wettsägen oder Wettessen ausgetragen, bei letzterem geht es darum, ohne den Einsatz der Hände Genuss- und Lebensmittel wie Schokoküsse oder Spaghetti mit Tomatensoße zu verschlingen. Jedes Jahr im Sommer veranstalten sie ein Schnupfenfest, zu dem das ganze Dorf eingeladen wird, außerdem unternehmen die Schmaizl-Brüder regelmäßig Busausflüge oder Isar-Bootfahrten. Mit den Erlösen aus ihren Festen werden andere Vereine aus dem Dorf unterstützt.

Der Schnupftabak darf dabei natürlich nicht fehlen. Das Schnupfen sei immerhin gesünder als Rauchen, sagt Vereinsvorsitzender James Bacher. "Davon ist bei uns noch keiner gestorben." Sein Bruder Hans weiß als Gründungsmitglied allerdings auch: "Das Aufhören ist nicht so leicht, wenn man in der Materie drinnen ist. Das macht schon ein bisschen süchtig." Es spricht also vieles dafür, dass der zünftige Stammtisch im Neuwirt noch Jahrzehnte erhalten bleibt

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