Schäftlarner Konzerte:Vorhang auf!

Lesezeit: 3 min

Stimmlich leichtfüßig, musikalisch ein Schwergewicht: Countertenor Franz Vitzthum. (Foto: Hartmut Pöstges)

Das Projektorchester unter Michael Forster und Countertenor Franz Vitzthum zeigen, dass es für theatralisches Erleben keiner Bühne bedarf. Ein fabelhaftes Musikerlebnis

Von Paul Schäufele, Schäftlarn

Stupende handwerkliche Fähigkeiten, ungezügelte Inspiration und mit einem Auge immer aufs Publikum blickend: Was Händel und Mozart zu Komponisten mit ununterbrochener Aufführungsgeschichte werden ließ, konnte am Samstag beim Auftakt der Schäftlarner Konzerte nachempfunden werden. Mit makellosem Spiel (das Projektorchester setzt sich aus Musizierenden der großen Münchner Klangkörper zusammen) und musikalischem Einfallsreichtum begeistert das Ensemble unter Michael Forster gemeinsam mit Countertenor Franz Vitzthum das Publikum in der Klosterkirche.

Handwerk und Phantasie: Mozarts ingeniöse Ouvertüre zu "La finta semplice" liefert ein gutes Beispiel dafür. Der frühreife Zwölfjährige hat dafür einfach an seiner siebten Symphonie geschraubt, sie gekürzt und uminstrumentiert. Geblieben ist ein Kaleidoskop an brillanten Einfällen. Im ersten Teil verleiht das Orchester dem munter dahinplätschernden Satz Kontur durch robuste Akzentsetzungen und lustvolles Ausspielen der Bögen. Der zweite Teil der Ouvertüren-Sinfonia mit seinem fließenden Triolen-Puls ist bei wenigen Moll-Anklängen als ein feinsinnig-fröhliches Gedankenspiel zu verstehen, das mit dem markant rhythmisierten "Molto allegro" abschließt. Dem weit ausschwingenden Hall des Kirchenraums kann freilich nicht ausgewichen werden, doch Forster bemüht sich um lebendige Artikulation und Durchsichtigkeit.

Das gilt auch für Mozarts Symphonie Nummer 36, die "Linzer" heißt, weil der Salzburger Hitzkopf sie dort auf der Durchreise im Laufe von ein paar Tagen geschrieben hat. Wollte man einen Zusammenhang zwischen Entstehungsgeschichte und Werk konstruieren, könnte man sagen: Der Zeitdruck hat hier nichts blockiert, sondern vielmehr einen auch für Mozart ungewöhnlichen Ideenreichtum provoziert. Den Charakterwechseln geht das Orchester wunderbar differenzierend nach, etwa wenn auf den seriösen Choral von Holz- und Blechbläsern die Geigen mit schelmischem Lächeln antworten. Kräftige Sforzati geben Impulse für die Verwicklungen des Kopfsatzes, der in seiner vom Schäftlarner Orchester zum Klingen gebrachten Dramatik auch Opernmusik sein könnte. Nach dieser Logik erwartete man im zweiten Satz den Auftritt des Tenors für seine Romanze, so pastoral verträumt klingt das, nur stellenweise eingetrübt durch düstere Phrasen in f-Moll. Nach einem festlichen Menuett mit geradezu waghalsigen Auftakten das Presto-Finale - im schwungvollen Notenrausch endet die Symphonie.

Mit Mozart beginnt und endet das Programm, die symphonischen Werke sind der Rahmen für eine Arien-Auswahl aus Händels Oratorien, beginnend bei dem ganz frühen "Il trionfo del tempo e del disinganno". Die Arie "Lascia la spina, cogli la rosa" ist da ein Ratschlag des allegorischen Vergnügens an die Schönheit, die Dornen zu meiden, aber die Rose zu pflücken. Im Sarabanden-Rhythmus breitet sich dazu ein Klangteppich aus, auf dem Franz Vitzthums Stimme sich behutsam niederlässt. Und was für eine Stimme! Auch in der Höhe voll und rund, hell, nie grell, flexibel und leichtfüßig bis zur Schwerelosigkeit. Diese Musik lässt schweben. Umso effektvoller und genauso luftig dann das folgende "On the rapid whirlwind wings". In Windeseile (nach oben schnellende Tonleitern in den Streichern zeigen das) treibt sich hier Joachim zur Rückkehr an den heimatlichen Hof an, nachdem er Nachricht von der Untreue seiner Frau Susanna bekommen hat. Aber er glaubt nicht daran - hat ja auch nicht gestimmt - und entsprechend selbstsicher ist sein Part: koloraturenreich und virtuos, was Vitzthum in der Wiederholung des ersten Teils der Da-Capo-Arie noch steigert. Gemäß der barocken Aufführungspraxis fügt er, improvisierend, zusätzliche Verzierungen ein. Das wirkt so natürlich und leicht, gleichzeitig dem szenischen Kontext angemessen, dass diese sängerische Haltung am besten mit diesem Wort beschrieben werden kann: sprezzatura, also die Fähigkeit, auch das Komplizierte mit Lässigkeit zu präsentieren.

Dabei schafft Vitzthum in den Arien, die ursprünglich Affektlagen von Figuren in einer fortlaufenden Handlung darstellen sollen, auf kleinstem Raum eine theatrale Welt. Wer sein "As with rosy steps the morn" hört, hört und sieht auch die verfolgte Christin Irene, die ihrem naiven Gottvertrauen Ausdruck verleiht. Nach dieser innigen Bekenntnisarie wirkt Othniels "Heroes, when with glory burning" mit dem fanfarenartigen Melodieverlauf beinahe martialisch. Der junge Soldat, auch noch verliebt, freut sich auf die Schlacht um Jericho. In Noten wird es zum festlichen Dialog zwischen selbstbewusster Einzelstimme und Orchesterapparat.

Was an diesem Abend deutlich wird, ist nicht nur das fabelhafte Niveau, auf dem Vitzthum und das Orchester der Schäftlarner Konzerte musizieren - das ist schon längst kein Geheimnis mehr. Genauso deutlich wird, dass es, um Drama zu machen, keiner Kostüme und keiner Kulisse (abgesehen von der spektakulären Klosterkirche) bedarf. Starke Charaktere und spannende Handlung in der Musik bilden ein Theater ohne Bühne.

© SZ vom 28.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: