Politik und Geschichte:Nachhaltig unterschiedlich

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Karl Marx, dessen Konterfei hier links Rollos zeigen, gilt als geistiger Vater des Kommunismus und ist bis heute umstritten. (Foto: Harald Tittel/dpa)

Vortragsabend zum 200. Geburtsjahr von Karl Marx und Friedrich Wilhelm Raiffeisen

Von Katharina Schmid, Schäftlarn

Beide wurden im Jahr 1818 geboren, beide wollten das Los von Menschen in Not verbessern und beide beeinflussten den Gang der Welt, allerdings in ganz unterschiedlicher Weise: Karl Marx und Friedrich Wilhelm Raiffeisen. Die Hanns-Seidel-Stiftung hat jüngst das 200. Geburtsjahr der beiden politischen und gesellschaftlichen Vordenker zum Anlass für einen Vortragsabend in Hohenschäftlarn genommen. Ein Dutzend Gäste kamen am Dienstag in die Schäftlarner Einkehr, um den Vortragenden Harald Bergbauer und Gerald Mann, beide Dozenten an der Hochschule für Ökonomie und Management (FOM) in München, zuzuhören.

Bergbauer beschäftigte sich bereits zu seinen Studienzeiten mit Karl Marx, der auf seinem Totenbett gesagt haben soll: "Alles was ich weiß, ist, dass ich kein Marxist bin." Für Bergbauer ein Hinweis darauf, dass sich der Marxismus noch zu Lebzeiten von Marx verselbstständigt hatte und es recht unterschiedliche Auffassungen darüber gab, was unter Marxismus eigentlich zu verstehen sei.

Marx, der Sohn eines Juristen, studierte selbst Recht, doch "sein Herz schlug für Geschichte und Philosophie". Als überzeugtem Linkshegelianer blieb ihm die Promotion verwehrt, er wurde Journalist und beeinflusste mit seinen Schriften, insbesondere dem "Manifest der Kommunistischen Partei", das er zusammen Friedrich Engels verfasste, die politische Ideengeschichte.

Nicht ohne Grund erschien das Manifest im Revolutionsjahr 1848. Marx habe kein "akademisches Glasperlenspiel" betreiben wollen, so Bergbauer: "Er wollte mitmischen. Er verfolgte politische Interessen und die Schrift war der Versuch, die politische und ökonomische Ordnung zu zerstören." Für Marx war die Geschichte der bisherigen Gesellschaft eine Geschichte von Klassenkämpfen. Sie gipfelte ihm nach im kapitalistischen System, in dem sich Bourgeoisie und Proletariat gegenüberstünden. Der Ausweg war für Marx der Kampf der Arbeiter gegen das Bürgertum: "Proletarier aller Länder, vereinigt euch!", rief er im Manifest auf. Dass die Theorie vom ständigen Klassenkampf historisch nicht haltbar sei, darauf hätten Historiker hingewiesen, sagte Bergbauer. Und auch Marx' Basis-Überbau-Modell zur Gesellschaft sei "in der Theorie ein großer Fehler" gewesen, so Bergbauer weiter.

Warum aber fasziniere der Marxismus als Theorie, lautete Bergbauers Abschlussfrage. Weil die Vordenker des Marxismus keine Utopie entwickeln hätten wollen, sondern Anspruch auf Rationalität und die Umsetzung ihrer Ideen in der Realität stellten. Weil sie für Gleichheit und Brüderlichkeit und gegen Ausbeutung und Unterdrückung eingetreten seien. Und, weil ihre Theorie praktischen Erfolg hatte, Erfolg mit teilweise schlimmen Folgen. 100 Millionen Tote soll der Kommunismus insgesamt gefordert haben. Das geht aus dem "Schwarzbuch des Kommunismus" hervor, einer Aufsatzsammlung, in der die Autoren Verbrechen, Terror und Unterdrückung durch kommunistische Regime und Organisationen dokumentieren. Freiheit, Wohlstand und Partizipation wurden unterdrückt, die Gattung verdrängte den Einzelnen. Bergbauers Fazit: "Eine schöne Theorie mit verheerenden Folgen."

Gerald Mann nahm die Zuhörer mit in die Welt Raiffeisens. Als Kommunalpolitiker hatte der das Wohlergehen benachteiligter Menschen im Blick und gehörte zu den Gründern der genossenschaftlichen Bewegung in Deutschland. Ein Beispiel für sein Wirken: "Als Bürgermeister von Weyerbusch ließ er eine Straße an den Rhein bauen, weil er beobachtet hatte, dass die Bauern, die aus dem Westerwald herunter an den Fluss kamen, in ihrer Verhandlungsposition geschwächt gegenüber den Händlern waren. Ohne echte Straße konnten sie ihre Waren nur schlecht wieder mit hinauf in den Westerwald nehmen."

Durch eine bessere Infrastruktur ermöglichte Raiffeisen den Bauern eine besser Position auf dem Markt. Mitte des 19. Jahrhunderts erlebte er, wie die einfache Bevölkerung durch die industrielle Revolution zunehmend verarmte, und rief 1847 den ersten Hilfsverein zur Unterstützung der Not leidenden ländlichen Bevölkerung ins Leben. 1864 gründete er den "Heddesdorfer Darlehnskassenverein", die erste echte Genossenschaftsbank Deutschlands.

Raiffeisen gilt als einer der Gründerväter des deutschen Genossenschaftswesens. "Er war in einem protestantischen, gläubigen und pietistischen Umfeld aufgewachsen und zog daraus seine Motivation", so Mann. Ihm sei es mit der Genossenschaftsidee nicht primär um Pekuniäres gegangen, vielmehr habe er die Bildung von Sozialkapital forciert. "Er wollte, dass die Leute nicht Kredithaien auf den Leim gehen. Er wollte ihr Leben auf breiter Basis verbessern, durch Selbsthilfe und Eigenverantwortung, ohne staatlichen Dirigismus."

In diesen Punkten unterscheide er sich nachhaltig von den Ideen seines Zeitgenossen Karl Marx. "Beide waren Menschen, die sensibel waren für das, was in ihrer Zeit vorging", sagte Mann. "Die Konzepte, die sie entwickelt haben, um den Menschen zu helfen, unterscheiden sich jedoch grundlegend."

© SZ vom 27.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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