Hilfe für die Ukraine:"Die Arbeit ist explodiert"

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Die Arbeit der Osteuropahilfe in der Ukraine organisieren (von links) Josef Reitinger, Frank Dopfner, Vorsitzende Maria Reitinger und Jörn Bertleff. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Der Einmarsch Russlands hat die Arbeit der "Osteuropahilfe" in Brody, der Partnerstadt von Wolfratshausen, vollkommen verändert. Trotzdem fahren noch immer Vereinsmitglieder in das vom Krieg gebeutelte Land und bringen Hilfsgüter.

Von Paul Schäufele, Bad Tölz-Wolfratshausen

Wenn in den letzten Monaten um Mitternacht ein Kleintransporter im Hof von Maria Reitinger hielt, hatte das nichts Verdächtiges zu bedeuten. Im Gegenteil, das Fahrzeug, das von Schäftlarn aus in Richtung Osten fährt, bedeutet Erleichterung dort, wo es ankommt, die Möglichkeit, mit weniger Sorgen den Alltag bestreiten zu können. Denn das ist er für Millionen Menschen geworden: Der Krieg ist Alltag in der Ukraine. Der Sprinter wird auch in Zukunft in die Ukraine fahren. Denn der Verein "Osteuropahilfe", dem Reitinger vorsteht, organisiert nach wie vor Hilfslieferungen, sammelt Spenden, ist für diejenigen Ukrainerinnen und Ukrainer, die in Kontakt mit dem Verein stehen, eine wichtige Stütze. Man blickt auf eine ereignisreiche Entwicklung zurück.

Gegründet wurde der Verein 1989 in Starnberg als "DDR-Bürgerhilfe", später war Königsberg ein Zielpunkt der Hilfsaktionen, die bosnischen Kriegsgebiete. Aber von Anfang an spielte auch die Westukraine eine wichtige Rolle in der Vereinsarbeit. Mit dem Überfall der russischen Armee auf die Ukraine im Februar 2022 musste die Osteuropahilfe Starnberg, Bad Tölz-Wolfratshausen und Schäftlarn ihre Prioritäten neu ausrichten: "Wir hatten halt vorher unsere Projekte und Besuche, dann kam der Krieg. Die Arbeit ist explodiert, es hat sich alles völlig verändert", sagt Maria Reitinger. Sie erzählt, wie nach dem russischen Angriff ihre Auffahrt voller Sachspenden und Hilfsgüter stand, die dann mit Lastern in die Krisenregionen gebracht werden sollten. Der letzte größere Transport verließ Schäftlarn voll beladen an Weihnachten. Wenige Tage später war er in der Ukraine, wo die Schlafsäcke, Feldbetten, Medikamente, Generatoren und Taschenöfen nach Bedarf verteilt werden.

Impressionen aus einem zerstörten Land ...kraine Osteuropahilfe (Foto: Privat/oh)
... aufgenommen von Osteuropahelfer Jörn Bertleff. (Foto: Privat/oh)

Ohne die Arbeit von Andrii Hromiak wäre das nicht möglich. Der Busunternehmer ist für die Verteilung der Hilfsgüter zuständig, auch er macht alles ehrenamtlich. Aber in Wahrheit sei das nun sein "Hauptjob", sagt Jörn Bertleff, Vorstandsmitglied des Vereins und eng eingebunden in die Organisation der Transporte. Andrii Hromiak agiert von Brody aus, einer Kleinstadt im Westen der Ukraine, etwa 90 Kilometer nordöstlich von Lwiw, und dem Verein seit vielen Jahren verbunden. 2009 schlossen Brody und Wolfratshausen einen Freundschaftsvertrag. Hundert Prozent der Spenden kommen an, trotz der ständigen Gefahr. Wie real diese Bedrohung ist, zeigt etwa das von Einschusslöchern durchsiebte Ambulanzfahrzeug aus der Region Charkiw, das zur Evakuierung von Zivilisten eingesetzt worden war. Jörn Bertleff stellte es vergangenes Jahr in Münsing aus.

Wie groß der Bedarf an welchen Gütern ist, wird im ständigen Kontakt zwischen den Vereinsmitarbeitenden und Hromiak ermittelt. Es sei eine "absolute Vertrauensbasis", sagt Reitinger und zeigt die zweisprachige, ukrainisch-deutsche Empfangsbestätigung einer Geldspende für einen Mann, dem ohne die finanzielle Zuwendung die Krankenhausbehandlung in Tschernihiw verwehrt geblieben wäre. Über eine halbe Million Euro an Spenden kamen bei der Osteuropahilfe im Jahr 2023 zusammen. Neben den Geldspenden an Privatpersonen und an die Familien, die vom Verein seit Jahren unterstützt werden - drei Familien in Lwiw, sechs in Brody, darunter alleinerziehende Mütter mit mehrfach behinderten Kindern -, wendet der Verein das Geld auch für größere Anschaffungen auf. Allein vier Ambulanzfahrzeuge wurden erworben und in die Ukraine transportiert, auch Ultraschallgeräte.

"Es ist sehr, sehr wichtig für diese Menschen."

Ohne die Geld- und Sachspenden ginge es vielen in der Ukraine noch schlechter, sagt Maria Reitinger. Doch die Vereinsarbeit geht darüber hinaus. Im vergangenen Dezember fuhr Jörn Bertleff mit seinem Privatwagen in die Ukraine, einmal quer durchs Land, Anfang Januar kam er zurück. Warum er das getan hat? "Weil es wichtig ist", sagt er mit der Lakonie des helfenden Praktikers, der eher zufällig diese Rolle gefunden hat. Bertleff ist Inhaber der Geretsrieder Firma MTS, Experte für Container und deren Beheizung, und dadurch international vernetzt. Als er von den Entwicklungen in der Ostukraine und der gesteigerten Militärpräsenz Russlands in der Region erfuhr, begann er sich zu informieren. "Es ist sehr, sehr wichtig für diese Menschen", sagt er eindringlich. "Zu wissen, dass jemand da ist, dass sich noch jemand interessiert." "Überlebenswichtig", ergänzt Maria Reitinger.

Bertleffs Handybildschirm leuchtet auf, ein schriller Klingelton. Was verspätete Neujahrsgrüße sein könnten oder die Frage, wann die nächste Geschäftskonferenz stattfindet, sind auf seinem Mobiltelefon häufig Nachrichten von Freunden und Bekannten aus der Ukraine. Khrystyna schickt ein Video aus ihrer im 23. Stock gelegenen Kiewer Wohnung. "Wie schlafen Sie?", fragt Bertleff. Khrystyna schläft in einem improvisierten Bett auf dem Flur, so weit von den Außenwänden entfernt wie möglich. Ein anderes Video erklärt, warum sie das tut: Eine Drohne fliegt am Fenster vorbei. Bertleff weiß, wie sich ein Luftangriff anfühlt: "Stört beim Einschlafen."

Der Krieg dauert nun zwei Jahre. Das bedeutet auch: Für die Ukrainerinnen und Ukrainer ist das Schlimmstmögliche, das Extrem zum Normalfall geworden. Bei einem Luftalarm gehen viele gar nicht mehr in den Schutzraum, berichtet Bertleff. Resignation sei aber nicht das dominante Gefühl, eher Ermüdung. Dennoch, was den Vereinsmitgliedern zu Ohren kommt, sei "kein Gejammer, sondern Mut, Zuversicht und Wut auf die Russen", so Frank Dopfer, Schatzmeister des Vereins.

Wenn Bertleff durch die Ukraine reist, ist es nicht allzu wichtig, dass er Deutscher ist. Nur manchmal wird er gefragt, weshalb der Kanzler Scholz so zögerlich ist, warum nicht mehr Waffen geliefert werden. Doch die Erleichterung überwiegt, dass es noch Unterstützung gibt, dass sich noch jemand kümmert. "Die vielen Dankesworte, das ist unglaublich", sagt Maria Reitinger. Es ist Dank für den Kontakt, der über soziale Medien aufrechterhalten wird, und für die materielle Hilfe.

Das Spendenaufkommen schwankt allerdings, mehr Geld wäre immer wünschenswert, auch Sachspenden können jederzeit abgegeben werden - Matratzen etwa, Decken, warme Kleidung, Medikamente. Jedem im Verein ist klar, dass das wichtigste Ziel auch dadurch nicht erreicht werden kann. "Wir wünschen uns, dass der Krieg ein Ende hat", sagt Reitinger. Momentan sieht es nicht danach aus. "Das hindert uns nicht daran, weiterzumachen", sagt sie. Es gilt den nächsten Transport vorzubereiten.

Der Verein "Osteuropahilfe" nimmt Sachspende entgegen. Informationen per Telefon 0157-72668560 oder E-Mail: info@osteuropa-hilfe.de. Geldspenden an IBAN: DE97 7005 4306 0055 0035 60 (Sparkasse Bad Tölz-Wolfratshausen).

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