Ökologie:Wilde Blüten statt englischen Rasens

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Weil Insekten immer weniger Nahrung finden, will Bad Tölz auf vielen seiner 200 Grünflächen Blumen pflanzen. Das erfordert viel Aufwand und stößt auch auf Kritik

Von Klaus Schieder, Bad Tölz

Franziska Bauer geht in die Hocke und nimmt einen Hornklee sanft in die Hand. Die gelbe Wildblume wächst zwischen Nelkenleimkraut, Glockenblumen und Salbei auf dem schmalen Streifen zwischen dem Gehweg und der Sachsenkamer Straße vor dem Alpenbiomarkt. Bald wird dort alles in Pink leuchten, wenn die Kartäusernelke ihre Blüten entfaltet. "Mal schauen, wie die Bevölkerung reagiert, wenn die Blumen verwelkt sind", sagt die Landschaftsgärtnerin aus Lenggries. Die kleine Wiese am Straßenrand ist ein Muster für das Vorhaben in Bad Tölz, öffentliche Grünflächen naturnah zu gestalten.

Blumenschau: Sabine Windschüttl (Tourist-Info), Grünen-Stadtrat Franz Mayer-Schwendner, Vitus Heimgreiter, Franz Schallhammer (beide Bauhof), Landschaftsgärtnerin Franziska Bauer, Bauamtsleiter Christian Fürstberger. (Foto: Manfred Neubauer)

Um die 200 solcher Areale gibt es. Alle sollen kartiert und begutachtet werden. Stadtrat Franz Mayer-Schwender (Grüne) weiß um das Konfliktpotenzial, dass dieses Projekt birgt. Manche Tölzer meinten, "die Wiesen gehören gemäht, alles muss aufgeräumt sein", sagt er. Allerdings müsse man auch Bienen und Insekten einen natürlichen Lebensraum geben. Auch Bauamtsleiter Christian Fürstberger bekommt vor allem von älteren Bürgern zu hören, dass sie die städtischen Grünflächen so kurz geschnitten wie einen englischen Rasen möchten, weil alles andere für die "g'schlampert" aussehe. Die Zahl der Insekten geht dadurch allerdings zunehmend zurück. Dem wolle die Stadt mit mehr Wildblumen entgegenwirken, sagt Fürstberger. Die Wiesen und grünen Streifen würden damit allerdings nicht gleich zu einem botanischen Garten. Die Kosten für den Kauf von Pflanzen und die Arbeit beziffert der Bauamtsleiter auf 40 000 bis 50 000 Euro pro Jahr. Alle 200 Areale werden ins Geoinformationssystem eingepflegt - mitsamt Mähplänen, notwendigen Pflegemaßnahmen und dem Hinweis, dass darauf naturnahe Pflanzen möglich sind oder nicht. Wilde Pflanzen und Blumen können nicht überall in die Höhe schießen. Mal würden sie Autofahrern die Sicht verdecken und den Verkehr gefährden, mal sind Wiesen dermaßen schwer zugänglich, dass die Mahd nicht abzutransportieren ist, mal handelt es sich um Sickerflächen. Die Kartierung der grünen Gebiete der Stadt, die bis nach Ellbach und zum Blomberg reichen, begann voriges Jahr und ist noch im Gange. "Alle 200 Flächen werden angeschaut, das heißt aber nicht, dass das Konzept bei allen 200 Flächen umgesetzt wird", bekräftigt Bauer. Auch dort, wo es möglich ist, wird eine naturnahe Gestaltung sukzessive und somit behutsam vorgenommen. Wichtig ist Mayer-Schwendner zufolge, dass es keine einjährigen Pflanzungen gibt, Blumen und Kräuter also, die man jedes Jahr neu in die Erde setzen muss. Das wäre ein Riesenaufwand. Außerdem setze man auf Nachhaltigkeit, so der Grünen-Stadtrat: "Die Erfolge wird man erst ein paar Jahren richtig sehen, wir schaffen jetzt den ,Rohbau' sozusagen."

Für den Bauhof der Stadt bedeutet das Naturprojekt vor allem eines: mehr Arbeit. "Wir stehen momentan auf dem Schlauch", sagt Vitus Heimgreiter, verantwortlich für die Pflege der Grünanlagen. Von Mai bis Ende Juli muss alles zumindest zwei Mal gemäht werden, im Herbst dann nochmals. Schon jetzt reicht das Personal dafür kaum aus. 14 Beschäftigte stehen zur Verfügung, sofern niemand Urlaub hat oder krank ist. Und die sind nicht bloß fürs Mähen da, sondern auch für Sportanlagen, Kurpark, Verkehrssicherung, Baumfällungen oder Straßenarbeiten. Die naturnahe Gestaltung der Grünflächen erfordert vor allem im ersten Jahr einen zeitlich verschobenen, vor allem umfangreicheren Mähplan. Bauhof-Leiter Franz Schallhammer äußert sich denn auch "nicht ganz so euphorisch". Auch ihm gefielen blühende Wildblumen, man müsse aber vorsichtig sein, denn auf der anderen Seite sei auch "ein hochwertiges Stadtbild" notwendig. Mayer-Schwendner verwies darauf, dass der Pflegeaufwand für naturnahe Flächen künftig dann vergleichsweise geringer sei. Um die Bauhof-Mitarbeiter in der Sommerzeit zu entlasten, fragte er nach, ob man nicht Flüchtlinge beschäftigen könne. Fürs Zusammenrechen auf einer Wiese seien ja kaum Deutschkenntnisse nötig. Fürstberger mochte dem nicht völlig beipflichten. Asylsuchende und Ein-Euro-Jobber hätten andere Arbeitszeiten, was logistische Probleme aufwerfe. Außerdem seien manche ein anderes Arbeitstempo und eine andere Arbeitsweise gewohnt. "Sie müssen intensiver betreut werden", sagte der Bauamtsleiter.

Auf einer kleinen Wiese neben der Bahnlinie an der Gaißacher Straße hat Franziska Bauer nach der sogenannten Burri-Methode gearbeitet: Auf drei Streifen Erde hat sie die obere Bodenschicht entfernt und Kräuter wie Salbei und Wiesenknopf eingepflanzt. Sie hofft nun, dass sich die Pflanzen jedes Jahr um einen Meter auf die dazwischen liegende Wiese verbreiten. Dieses Verfahren sei Standard für Wiesen, die man nicht neu anlegen, sondern verbessern möchte, sagt Mayer-Schwendner.

© SZ vom 30.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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