Aktionsabend:Leuchtendes Moraltgelände

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Axel Berger erweckt die brach liegenden Fabrikhallen in Tölz künstlerisch zum Leben - ein Appell, ihr Potenzial für die Öffentlichkeit zu nutzen

Von Arnold Zimprich, Bad Tölz

Schwefelgelb hängen die Gewitterwolken am Dienstagabend über dem Oberland, bei der Fahrt nach Bad Tölz beginnt es zu regnen. In der Kurstadt selbst ist es noch trocken - doch wie lange noch? Axel Berger kann das egal sein. Die von ihm und Peter Frech auf die Beine gestellte Veranstaltung findet in den seit Jahren ungenutzten Hallen des ehemaligen Moralt-Werks statt. Mit einer "künstlerischen Führung", so hat er es vorab angekündigt, will er zeigen, dass das seit Jahren brach liegende Gelände großes Potenzial hat und das man es der Öffentlichkeit zugänglich machen sollte. Berger, spätestens seit seinem auf die Isarbrücke projizierten Adventskalender über die Stadtgrenzen hinaus bekannt, versteht den Abend auch als Appell, an die Politiker und potenziellen Investoren, die er eingeladen hat.

Der Eingangsbereich zum Moraltgelände ist rot illuminiert, es erinnert alles ein wenig an den einstigen Kunstpark Ost in München. Die Lichter leiten einen in Richtung des alten Hauptgebäudes, wo sich bereits Tölzer Stadtprominenz eingefunden hat. Bürgermeister Ingo Mehner ist ins Gespräch vertieft, Bananafishbones-Sänger und Dreiviertelblut-Mitglied Sebastian Horn unterhält sich mit einem Crewmitglied von Axel Bergers Künstler-Kollektiv "Isar Street Art" - und auch Landrat Josef Niedermaier ist gekommen. Die Gäste saugen die Stimmung in der hohen, rot-blau beleuchteten Eingangshalle auf, es werden Kaltgetränke gereicht. Einen so beeindruckenden Veranstaltungsort nach monatelangem Lockdown betreten zu dürfen, ist für alle Anwesenden ein Erlebnis.

Der Eingangsbereich zum Moraltgelände ist rot illuminiert, es erinnert alles ein wenig an den einstigen Kunstpark Ost in München.

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(Foto: Manfred Neubauer)

Die Lichter leiten einen in Richtung des alten Hauptgebäudes.

Akrobatik und...

...viel künstlerisches Licht zeigen Politikern, möglichen Investoren und Bürgern der Stadt die Möglichkeiten auf, die in der einstigen Fabrik stecken.

Während sich die Gäste noch fragen, was denn nun passieren wird, ertönt plötzlich wie aus dem Nichts eine tiefe, sonore Stimme, die in Tölz wohl jeder kennt. Es die Stimme Sebastian Horns. "Stellen Sie sich vor: Träume, Chancen, Messen, Leben, Kultur, Handwerk, Visionen", sagt sie. "Es liegt in ihrer Hand!" Das richtet sich nicht nur an die anwesenden Entscheidungsträger aus der Politik, sondern an alle Bürger: ein Appell, aus der so zentral gelegenen Industriebrache etwas zu machen.

Was genau, bleibt zunächst ganz bewusst offen - stattdessen wird ein tanzendes Paar an die Wände projiziert, beeindruckend groß, in mitreißender Bewegung, dazu sphärische Klänge. Die Verzauberung ist perfekt, das Publikum becirct. Aus waberndem Nebel entsteigt dann eine weiß gekleidete Tänzerin, die die Gäste in die nächste Halle entführt - wo sie von einem übergroßen, weiß leuchtenden, menschenähnlichen Wesen empfangen werden, das durch die Halle zu schweben scheint. Erst auf den zweiten Blick erkennt man, dass es von fünf schwarz gekleideten Puppenspielern gesteuert wird. Der Name des Wesens ist Dundu, es ist das Maskottchen der Special Olympics, die 2023 in Tölz stattfinden. Die rund 5 Meter hohe Gliederpuppe wird von Stuttgarter Puppenkünstlern rund um Tobias Husemann bewegt. Wie hypnotisiert begleitet das Publikum das ephemere Wesen, es würde ihm wohl überall hin folgen. Dundu gleitet durch die Industriehalle, spielt mit einem Ball, interagiert schließlich mit zwei Tänzerinnen. Der Raum füllt sich mit positiver Energie, ganz so als wolle Dundu die Gäste heilen von all der Corona-Pein. Begleitet wird er nicht nur vom staunenden Publikum, sondern auch von Stefan Charisius, der seiner Kora, einer westafrikanischen Stegharfe, zarte, raumfüllende Klänge entlockt.

Doch der Abend ist nicht nur Kunstgenuss. Berger geht es um eine klare Aussage, die mit ein paar Schlagworten an die Wand gebeamt wird: "Kultur, Träume, Handwerk, Vision, Messen, Begegnung, Chance, Raum, Dynamik, Leben, Pop-Up, Konzerte". Ideen, um aus dem alten Moraltgelände etwas zu machen, von dem die ganze Stadt profitieren kann - nicht nur in monetärer, sondern vor allem auch in sozialer Hinsicht.

Am Ende folgt noch ein weiterer, augenzwinkernder Appell: "Don't eat Bats!" (Iss keine Fledermäuse) haben die Graffitikünstler von "Isar Street Art" an die Wand gesprüht, die auch das Ende des von Dundu spielerisch gestalteten Rundgangs markiert. Der US-Rapper Eminem scheppert aus den Boxen, dazu wird der Schriftzug in immer anderen Licht-Varianten und Farben in Szene gesetzt. Dass Dundus Leuchtball am Ende Landrat Niedermaier auf den Kopf hüpft, gerät da zur Randnotiz.

Er wolle "Verantwortliche, Investoren und Bürger darauf aufmerksam machen, dass die alten Räumlichkeiten genutzt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollen", erklärt Veranstalter Berger. Er wünsche sich, "dass das ein Funken ist, der zum Flächenbrand wird" - zum Beispiel in Sachen Inklusion und Netzwerken. Das Potenzial des alten Geländes hat er jedenfalls auf beeindruckende und berührende Weise zum Vorschein gebracht. "Wenn das heute Abend nur der Funke war", fragt Landrat Niedermaier - "wie sieht dann der Flächenbrand aus?"

© SZ vom 24.06.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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