Mitten im Landkreis:Komische Vögel im Forstenrieder Park

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Sechs Biologen harren stundenlang über den Baumwipfeln aus und zählen Flugbewegungen. Das hat so seine Tücken.

Kolumne von Claudia Wessel

Wie es so ist mit Statistiken und Studien, an die Ergebnisse glauben laut Volksmund nur diejenigen, die sie selbst gefälscht haben. Wobei dahinter gar keine böse Absicht stecken muss, es kommt auch immer wieder vor, dass bei Untersuchungen diverse Faktoren, die eine wesentliche Rolle spielen, einfach außer Acht gelassen werden. Grund dafür kann etwa die selektive Wahrnehmung sein, vor der auch Forscher nicht gefeit sind. Man kennt das ja: Schwangere sehen plötzlich überall Schwangere, Maskenhasser nackte Gesichter im öffentlichen Nahverkehr und Rosenfreunde entdecken jede Blüte in fremden Blumentrögen.

Auch bei den sechs Biologen, die seit Februar eine Großvogelfunktionsraumanaylse im Forstenrieder Park erstellen, könnten solche Mechanismen durchaus eine Rolle spielen. Im Vorfeld der Planung von sechs Windrädern sitzt bis November jeder von ihnen insgesamt 25 Mal sechs Stunden lang auf einer Hebebühne, die ein Kran bis über die Baumwipfel des Waldes im Forstenrieder Park hievt. Von dort, so die Aufgabenstellung, sollen sie die "Flugbewegungen von kollisionsgefährdeten Vogelarten" analysieren. Größere Greifvögel etwa können von Windrad-Rotoren verletzt werden.

Das Ausharren auf diesen Beobachtungsposten sei nicht so einfach, erzählte der Leiter des federführenden Architektenbüros, Dietmar Narr, den Zuhörern beim ersten Bürgerforum zu dem geplanten Windpark. "Sie können sich nicht mal schnell eine Brotzeit holen", schilderte er nur ein Dilemma der Situation hoch über den Bäumen. Einer habe gar hingeschmissen aufgrund von Schwindel. Die Biologen also sitzen dort oben und zählen jeden Greifvogel, der vorbeifliegt. Dass man da ohnehin höllisch aufpassen muss, dass nicht alle denselben bei Hin- und Rückflug immer wieder neu mitzählen, deutete Narr schon an. Wer für jeden Vorbeifliegenden einen Strich auf einem Zettel machen darf, sieht eben mehr als jemand, den das nicht interessiert. "Die wissen, wer einfliegt und wer ausfliegt", behauptet Narr über seine Mitarbeiter.

Eine andere Fehlerquelle aber haben die Forscher komplett übersehen: Angesichts der komischen Vögel, die monatelang auf der Hebebühne im Forstenrieder Park ausharren, fliegen die Tiere natürlich wesentlich öfter hin und her. Der Wespenbussard erzählt's dem Graureiher, der muss es unbedingt dem Rotmilan weitersagen. Jeden Tag wird dann einer losgeschickt, um nachzusehen, ob die seltsamen Wesen immer noch da sind. Das erhöht die üblichen Flugbewegungen garantiert um mindestens 50 Prozent. So oder so ist das Ganze ein fragliches Unterfangen, wie Narr selbst zugibt. "Eigentlich ist der Erkenntnisgewinn gering", verriet er den Zuhörern, "aber wir haben es jetzt halt schon gemacht".

© SZ vom 21.10.2022 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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