Mit "Schießkino" unterm Dach:Neues Leben in der alten Tenne

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Die Familie von Poschinger hat einen Saal für Seminare und Feiern auf Gut Waltersteig geschaffen

Von Benjamin Engel

Karl-Ludwig, Franziska und Vater Vollrad von Poschinger (von links) wollen Gut Waltersteig für Veranstaltungen von Unternehmen öffnen. (Foto: Hartmut Pöstges)

In der Tenne lenkt Karl-Ludwig von Poschinger den Blick auf die Stützkonstruktion des Holzgebälks, die sich kunstvoll viele Meter nach oben verzweigt. Drei Monate habe er gebraucht, um alles sauber zu machen, sagt der studierte Holztechniker. Bis in die Ritzen des seit zehn Jahren leer stehenden, lichten und hohen Raums hatte sich der Heustaub verfangen. "Auf den Holzbalken lag der 30 Zentimeter dick", sagt der 36-Jährige. Zudem habe die Tenne als Abstellraum gedient, weswegen die Familie erst einmal Platz schaffen musste. Das handbearbeitete Dachgebälk, das nur Holznägel zusammenhalten, kommt nun vollständig zur Geltung. Die Familie von Poschinger hat den Raum auf Gut Waltersteig als Veranstaltungssaal ausgebaut. Firmen können ihn ebenso wie die umgebauten Stallungen für Seminare oder Feiern mieten.

Nur mit Glück war dies heute noch möglich. Denn in den 1960er-Jahren wären die Tenne und womöglich das ganze Gut auf dem Moränenzug bei Herrnhausen beinahe zerstört worden. Damals fraß sich ein Schwelbrand durch den Heustock bis zum das Dachgebälk und hätte leicht auf umliegende Gebäudeteile übergreifen können. "Zum Glück haben wir den Brandherd rechtzeitig entdeckt", sagt Vater Vollrad von Poschinger, der Anfang 60 ist. Feuerwehren seien schnell zur Hilfe am Gut eingetroffen. So blieb der Schaden auf ein paar angekokelte Stellen am Holz begrenzt, die noch zu sehen sind.

Schon vor Jahrzehnten hat Vollrad von Poschinger die einstige Milch- und spätere Fleischviehwirtschaft auf dem Gut umgestellt. Seit den 1970er-Jahren pflanzt er dort auf Plantagen rundum Christbäume zum Selberschlagen an. Zudem züchtet er Rotwild. Ein Versuch mit Auerochsen schlug fehl. Zu gestresst reagierte das Wild auf die mächtigen Tiere. "Wir haben immer versucht, uns Nischen zu suchen", schildert Vollrad von Poschinger. Das Gut für Seminare zu öffnen, sei auch eine Chance, das Fleisch aus artgerechter Haltung besser vermarkten zu können. Bislang musste die Familie Kunden vertrösten, die nach dem Christbaumkauf oft nach einem Platz im Warmen zum Essen und Trinken fragten. Daraus entwickelte sich die Idee, die leer stehenden Stallungen und die Tenne für Seminare und Firmenfeiern umzubauen, berichtet Sohn Karl-Ludwig. Platz gab es schließlich genug. Im Februar vorigen Jahres konnte die Familie schließlich mit dem Umbau beginnen. Jetzt fehlt nur noch die Einrichtung.

Eines der Herzstücke auf dem Gut soll die neu eingerichtete Küche sein. Dort bietet die Familie Kochseminare an. Die Gäste bereiten ihr Essen unter fachkundiger Begleitung selbst zu, um dann gemeinsam zu essen. Auch an Kochkurse mit Fleisch aus der eigenen Rotwildzucht sei gedacht, sagt Vollrad von Poschinger. Denn noch immer gebe es Vorbehalte, dass Wild einen Hautgout habe und komisch schmecke. Viele meinten, Wild sei kompliziert zuzubereiten. Selbst manche Jäger wüssten außer mit dem Filet oder dem Rücken kaum etwas mit den restlichen Teilen vom Tier anzufangen. Es gehe darum, Vorurteile abzubauen. "Wild ist eines der gesündesten Lebensmittel." Seine eigenen Tiere schieße er vollkommen stressfrei direkt auf der Weide, wie auf der Jagd, sagt Poschinger.

Im "Schießkino" legt Karl-Ludwig von Poschinger das Gewehr an. Dort können Jäger ihre Treffsicherheit schulen. Im Video-Simulationssystem übertragen Beamer Landschaftsszenarien mit "bewegten Zielen" wie Enten oder Wildschweinen auf die Leinwand. Laien können auf Luftballons oder Dosen zielen. (Foto: Hartmut Pöstges)

Jäger haben auf Gut Waltersteig auch noch die Möglichkeit, ihre Treffsicherheit zu trainieren. Unter dem Dach gibt es ein sogenanntes Schießkino. Im modernen Video-Simulationssystem übertragen Beamer Landschaftsszenarien mit "bewegten Zielen" auf zwei Leinwände. Eine ist im 45-Grad-Winkel geneigt, um das Schießen auf Flugwild zu üben. Jede Bewegung wird durch einen Kamera-Aufsatz auf dem Übungsgewehr genau erfasst und in das Computersystem eingespeist. So kann analysiert werden, was der Schütze falsch oder richtig gemacht hat. Verschiedene Schwierigkeitsstufen sind wählbar. Aber auch Laien können sich versuchen und auf Dosen oder Luftballons zielen.

Viel Wert hat die Familie von Poschinger darauf gelegt, so viel wie möglich von der ursprünglichen Bausubstanz zu erhalten. So gleicht ein Rundgang durch die neuen Räume auch einem Streifzug durch die Entwicklungsgeschichte des Gutes. Erstmals erwähnt wurde es 1354 als Lehen in Herrenhausen. Der Ostteil ist im Kern rund 400 Jahre alt. 1930 kaufte die Familie von Poschinger das Gut, baute wenig später im Westen neu an.

Die Familie hat den früheren Kuhstall für Seminare ausgebaut. (Foto: Hartmut Pöstges)

Auf den Büro- und Empfangsraum im Norden folgt der alte Kuhstall mit zwei mächtigen Pfeilern genau in der Mitte unter der Gewölbedecke. Dass der Großvater von Karl-Ludwig von Poschinger die östliche Raumhälfte erst in den 1930er-Jahren angebaut hat, ist auf den ersten Blick kaum zu erkennen. Der Kamin ist mit Feldsteinen aus einem alten benachbarten Hof umkleidet. Am Eingang dort kommen die Gäste durch die alte hölzerne Stalltür in das Erdgeschoss. Etwa 20 bis 30 Personen haben in dem Raum Platz, ebenso wie in dem westlich angrenzenden früheren Pferdestall. Dessen Boden lag früher etwa einen halben Meter höher. Die Familie von Poschinger hat den Raum tiefergelegt, um auf die gleiche Höhe wie der Kuhstall zu kommen. Direkt um die beiden gusseisernen Säulen im Pferdestall wurde allerdings auf einer quadratischen Fläche das ursprüngliche Bodenniveau beibehalten. Auf diese Weise entstanden Sitzgelegenheiten. Mit Dielen aus Eiche ist der Boden ausgelegt. Fichten- und Tannenholz verkleidet die Wände. In den oberen Tennenbereich mitsamt der Küche gelangen die Gäste entweder über eine Rampe vom Freien aus oder über einen Lastenaufzug. Darüber schließt der Raum für das Schießkino an.

Über eine Rampe führt ein Zugang in die Tenne. (Foto: Hartmut Pöstges)

Im Süden des Gutes auf den mit alten Apfelbäumen bestandenen Wiesen plant die Familie, die Seminargäste im Freien zu bewirten. Vom höchsten Punkt reicht der Blick von Schloss Eurasburg im Westen über das Beuerberger Kloster bis hin zur Alpenkette zwischen Benediktenwand und Zugspitze. Doch so idyllisch die Alleinlage auch ist, gerade als junger Mann suchte Karl-Ludwig von Poschinger den Ausbruch. Um Holztechnik zu studieren, ging er nach Wien. Das sei eine schöne Zeit gewesen, sagt er. Doch irgendwann hatte er den Wunsch zurückzukehren. Drei Jahre arbeitete er für eine Stiftung, ehe die Idee mit den Seminarräumen reifte.

Gemeinsam mit seinem Vater und Schwester Franziska - sie ist für das Marketing zuständig - leitet er den Familienbetrieb. Nur für Hochzeiten will die Familie die Räumlichkeiten nicht vermieten. Denn schließlich, so sagen sie, lebten sie auf Gut Waltersteig und brauchten wenigstens noch ein bisschen Ruhe.

© SZ vom 03.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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