SZ-Serie "Klingende Namen":Schall- und Kunststücke

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Ewald und Bernhard Meinl haben sich auf den Bau historischer Blasinstrumente spezialisiert. Das Geheimnis ihres Erfolgs gründet darin, dass ihre Unikate noch näher am Original sind als die Vorbilder im Museum.

Von Stephanie Schwaderer

Graslitz, tschechisch Kraslice, ist seit Jahrhunderten als Instrumentenbauer-Zentrum berühmt. Aus dem Städtchen im Egerland kamen nach dem Zweiten Weltkrieg die ersten deutschen Vertriebenen nach Geretsried. Und da nicht wenige von ihnen Noten, Werkzeug und vor allem Wissen mitgebracht hatten, entwickelte sich auch die heute mit 26 000 Einwohnern größte Stadt im Landkreis zu einer guten Adresse für Musiker, die ein Instrument suchen.

400 Jahre fallen in dieser Werkstatt nicht ins Gewicht. Die zierliche Barock-Posaune, die Bernhard Meinl von der Werkbank nimmt, wiegt gerade einmal ein paar Hundert Gramm. Sie ist aus hauchdünnem Messingblech geformt und an manchen Stellen kunstvoll graviert. Ein Meisterwerk, das der 49-Jährige zusammen mit seinem Vater in Handarbeit geschaffen hat. "Das Original steht im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg", sagt Bernhard Meinl. "1595", ergänzt sein Vater Ewald. Die beiden haben sich in einem schmucklosen Gebäude an der Jeschkenstraße eine faszinierende Nische geschaffen. Seit Jahrzehnten fertigen sie historische Instrumente - für Spezialisten, die sich der Alten Musik verschrieben haben.

Die Alte-Musik-Szene ist klein, aber weltweit gut vernetzt. Auf ein Namensschild an der Einfahrt können die Meinls daher verzichten. Die Werbung läuft über Mundpropaganda. Ihre Instrumente - Naturtrompeten, Posaunen oder Hörner - liefern sie nach Amerika und Japan, China und Australien. "Im Landkreis kennt uns vielleicht keiner", sagt Ewald Meinl, "aber in der Welt kennen sie uns." Der 83-jährige lächelt vergnügt.

Als Zwölfjähriger hat er mit dem Fahrrad Schallstücke ausgeliefert, die sein Vater Franz zunächst in Heimarbeit für die Firma Wenzel Meinl herstellte. 1956 gründete Franz Meinl mit einem Kollegen die Firma "Meinl und Lauber Musikinstrumentenbau". Die beiden Graslitzer spezialisierten sich auf den Bau von Schalltrichtern - von der Piccolo Trompete bis zur Tuba. Dies ist heute noch das zweite Standbein des Betriebes. Ewald Meinl legte seine Gesellenprüfung als Bundessieger ab und brachte Ende der Sechzigerjahre die historischen Instrumente ins Spiel. Damals hätten sich Musikprofessoren aus Amerika an ihn gewandt, erinnert er sich. "Idealisten, denen die Alte Musik am Herzen lag." Mit ihnen sei er durch die Museen gezogen.

Alte Fotos zeigen einen jungen Ewald, wie er unter dem strengen Blick mehrerer Herren mit weißen Handschuhen ein Horn vermisst. "Manche Instrumente wurden auch geröntgt.", erzählt er. Danach ging es darum, Nachbauten anzufertigen und den Klang zu vergleichen. Zur selben Zeit begann er zusammen mit seiner Frau alles zu sammeln, was mit Musik zu tun hatte.

Der kleine Showroom an der Jeschkenstraße erinnert daher eher an eine Schatzkammer als an einen Verkaufsraum. Lyren hängen neben verschrammten Geigenkästen aus Graslitz, darunter steht ein Röhrenradio der Marke Nordmende. An der Wand gegenüber reihen sich glänzende Posaunen, allesamt Nachbauten aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Die größte, ein wahrlich sperriges Gerät, kann nur mit Hilfe eines Verlängerungsstegs gespielt werden. "Der Arm des Musikers wäre zu kurz", konstatiert Ewald Meinl. "Aber wenn man Originalmusik spielen möchte, dann braucht man eben ein solches Instrument."

Was zeichnet den Klang dieser Instrumente aus, die ohne Ventile und Klappen auskommen? Kurzes Schweigen. "Das zu beschreiben ist schwierig", sagt der Fachmann, der sein Leben lang nichts anderes gemacht hat, als Klänge zu formen. "Mit Ventilen klingt es härter und heller, ohne Ventile weicher." Die Spieltechnik sei natürlich schwieriger, weil alle Töne nur mit den Lippen korrigiert werden könnten. Dennoch seien Ventile erst Anfang des 19. Jahrhunderts beim Instrumentenbau in Mode gekommen. "Hübsch spät", sagt er, "denn die Technik war ja da." Beethoven habe auch noch viele Stücke für Naturhorn komponiert, als es bereits moderne Hörner gegeben habe.

Stolz sind er und sein Sohn darauf, weitgehend wie die Instrumentenbauer des 16. und 17. Jahrhunderts zu arbeiten - mit den gleichen handwerklichen Techniken und Werkzeugen. Die Schallstücke hämmern sie von Hand und löten sie mit historischer Lot, wobei sie im Gegensatz zu ihren Vorfahren Gas statt Holzkohle nutzen. Anschließend werden die Rohlinge auf Formen getrieben. Auch alle Rohrteile werden von Hand gerollt und gelötet. Am Ende bekommt jedes Stück eine kunstvolle Verzierung. "Schöne Musik aus schönen Instrumenten", fasst Ewald Meinl zusammen.

Bernhard Meinl hat den Fünf-Mann-Betrieb im Jahr 2000 offiziell übernommen. Während er und sein Vater für die historischen Instrumente zuständig sind, kümmern sich drei Gesellen um die Produktion von Schalltrichtern. Die Frage, ob sein Vater ihn dazu gedrängt habe, in seine Fußstapfen zu treten, beantwortet der Sohn mit einem Lachen. "Mein Vater hat immer gesagt, ich soll Beamter werden."

Stattdessen stehen die beiden nun seit 30 Jahren gemeinsam an der Werkbank. Langweile? Kennen sie nicht. Beide tragen blaue Latzhosen und Karohemd, beide strahlen eine souveräne Gelassenheit aus. Sie hören sich gegenseitig aufmerksam zu, lassen sich ausreden. "Wie könnte ich auf 70 Jahre Erfahrung verzichten", fragt Bernhard Meinl, der seine Meisterprüfung mit Gold abgeschlossen hat. "Wenn man seine Arbeit gerne macht, kommt etwas Gutes dabei raus", sagt sein Vater.

Ihr Ansporn ist es nicht nur, alte Instrumente nachzubauen, vielmehr wollen sie noch näher am Original als die Museumsstücke sein. Die nämlich wurden oft repariert oder aus Fragmenten zusammengesetzt. "Deshalb haben wir in Anlehnung an die Mensur und Klangvorstellung der Museumsinstrumente unsere Modelle entwickelt, jedoch mit einer verbesserten Intonation und Spielbarkeit." Die zarte Barockposaune auf der Werkbank hat etwa einen Stimmzug. "So etwas gab es früher nicht."

Seit einiger Zeit nimmt das Interesse an Alter Musik wieder zu. Über mangelnde Arbeit können die beiden daher nicht klagen. Schwierig sei es jedoch, junge Leute für den Beruf zu begeistern. Bernhard Meinl hat zwei Töchter, zwölf und 15 Jahre alt. Werden sie vielleicht einmal einsteigen? "Ich weiß nicht", antwortet er. "Ich sage immer, sie sollen Beamtinnen werden."

© SZ vom 16.09.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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