Medizin aus Penzberg:Doktor Algorithmus

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Das Pharmaunternehmen Roche forscht in Penzberg an Patientendaten, um Krankheiten besser behandeln zu können. Eine Podiumsdiskussion Ende April soll das Thema der Digitalisierung in der Medizin transparenter machen

Von Benjamin Engel, Penzberg

Mit einer bestimmten Formulierung zu provozieren, kann manchmal helfen, gesellschaftliche Debatten zu schärfen. Wenn Eva Schumacher-Wulf sagt: "Datenschutz ist etwas für Gesunde", dann ist ihr das wohl bewusst. Die Chefredakteurin von Mamma Mia! - Die Krebsmagazine ist selbst Brustkrebspatientin. Mit ihrem Satz meint sie, dass nur die wenigsten Menschen mit einer seltenen, schweren oder gar lebensbedrohlichen Krankheit es problematisch finden, ihre Daten zu teilen. Denn dadurch erhofften sie sich, medizinische Fortschritte vorantreiben zu können. Doch bislang dürfe niemand selbst entscheiden, was mit seinen Daten geschehe. Das legten Datenschützer fest, sagt Schumacher-Wulf. Das zeigt das Spannungsfeld um die zunehmende Digitalisierung im Gesundheitswesen. Denn um dem Ziel einer individuell personalisierten Medizin nahezukommen, werden möglichste viele Daten von Patienten gebraucht. Um darüber zu debattieren, organisiert das Pharmaunternehmen Roche mit seinem Standort in Penzberg Ende dieses Monats eine virtuelle Podiumsdiskussion. Darin sprechen Schumacher-Wulf und medizinische Experten, welchen Wert reale Patientendaten für die Medizin haben.

Der Penzberger Roche-Standort spielt für das Pharmaunternehmen eine wichtige Rolle in der digitalisierten Medizin. Mit ihrem Team hat die Leiterin der dortigen Data-Science-Abteilung, Anna Bauer-Mehren, gemeinsam mit der Onkologie den sogenannten RoPro (Real World Data Oncology Prognostic Score) entwickelt. Anhand dieses computerbasierten Prognose-Instruments können Forscher und Mediziner die Überlebenswahrscheinlichkeit eines an Krebs erkrankten Menschen besser beurteilen.

Mit Hilfe computerbasierter, prognostischer Vorhersageinstrumente können Forscher und Mediziner Patienten gezielter helfen und etwa Zulassungsprozesse für neue Medikamente beschleunigen. So sollen sich Expertise in der Diagnostik und Fortschritte in der Datenwissenschaft ergänzen. (Foto: Roche/oh)

Bauer-Mehren und ihre knapp ein Dutzend Mitarbeiter haben dafür 122 694 Daten aus elektronischen Patientenakten mit 17 Krebsindikatoren ausgewertet und für den Prognostic Score 27 Faktoren zusammengefasst. Mit solchen Instrumenten lässt sich etwa eine kleine Gruppe von Lungenkrebspatienten identifizieren, bei der ein bestimmtes Protein zu hoch war. Schaue man sich an, wie sich die Gesundheitsdaten der Patienten im Zuge der Erkrankung entwickelten, könne man zielgerichtetere Behandlungsmethoden entwickeln, sagt Bauer-Mehren. "Das ist ein guter Schritt in Richtung einer personalisierten Medizin."

So können möglichst viele reale Gesundheitsdaten medizinischen Fortschritt ermöglichen. Bislang umfassen laut Bauer-Mehren Studien, etwa zur Entwicklung neuer Medikamente, meist nur wenige Hundert Teilnehmer. Daraus könnten Forscher und Ärzte nur fünf Prozent aller möglichen Daten generieren, um daraus etwas für die Behandlung der Patienten zu lernen.

Diese Lücke schließen digitale Instrumente wie der RoPro. "Wenn wir wirklich verstehen wollen, müssen wir uns alle Daten anschauen", sagt Bauer-Mehren. Die vollkommen anonymisierten und mit der Einwilligung der Patienten weitergegebenen Daten dafür stammten aus den USA. Durch solche digitalen Instrumente ließe sich etwa das Zusammenspiel von Immunsystem und Tumorzelle besser verstehen. Die Erkenntnisse kämen Ärzten in der klinischen Praxis zugute, ermöglichten aber auch eine effektivere Forschung, könnten so etwa den Zulassungsprozess für neue Medikamente beschleunigen.

Anna Bauer-Mehren leitet die Data Science-Abteilung am Roche-Standort in Penzberg. (Foto: Roche/oh)

Dafür beschäftigt das Pharmaunternehmen Roche weltweit Spezialisten. Um die 60 Datenexperten sind insgesamt in den entsprechenden Abteilungen an den Standorten in Penzberg, Basel, Zürich, New York und Shanghai tätig. Nach Unternehmensangaben gibt es zudem viele weitere sogenannte Data Scientists in einzelnen Fachabteilungen. Roche arbeitet damit strategisch daran, die Expertise in den Bereichen Pharma und Diagnostik mit Fortschritten in der Datenwissenschaft zu kombinieren. Dies ermögliche eine effektivere und effizientere Forschung und führe zu besseren Therapieentscheidungen, so heißt es von Unternehmensseite.

Zudem ist am Penzberger Standort die Medicine Foundation GmbH angesiedelt, ein Tochterunternehmen von Roche. Die Mitarbeiter bieten genomisches Tumorprofiling - darunter ist das Aufdecken der molekularen Eigenschaften von Tumoren zu verstehen - an und erheben somit auch direkt reale Patientendaten.

Deren Bedeutung für die Medizin wie die Gesellschaft will die von Roche am 27. April organisierte virtuelle Podiumsdiskussion thematisieren. Mit der Journalistin und PR-Beraterin Eva Schumacher-Wulf sowie der Leiterin der Data Scientists-Abteilung Bauer-Mehren diskutieren weitere Experten. Zugeschaltet werden soll Professor Horst K. Hahn. Er leitet das Fraunhofer-Institut für Digitale Medizin MEVIS. Professor Andreas Schneeweiss vom nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) des Universitätsklinikums sowie des Deutschen Krebsforschungszentrums Heidelberg und Professorin Eva Winkler, am NCT für die Sektion Translationale Medizinethik tätig, vervollständigen das Diskussionspodium. Der Journalist Patrick Zeilhofer wird moderieren. Das Sextett will explizit auch für Laien Transparenz schaffen, Vorurteile abbauen und zur Diskussion anregen.

Virtuelle Podiumsdiskussion: Digitalisierung in der Medizin - Was die Daten uns verraten; Dienstag, 27. April, Beginn: 16.30 Uhr, Dauer etwa 90 Minuten, Teilnahme kostenlos und ohne Anmeldung möglich, Streaming über den Youtube-Kanal von Roche go.roche.com/DigitalisierungInDerMedizin

© SZ vom 14.04.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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