Lesung in der Stadtbücherei:Das Glück der Bauamtsleiterin

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Susanne Leonhard im heimischen Arbeitszimmer. (Foto: Hartmut Pöstges)

Susanne Leonhard hat eine Reihe von Frauen-Romanen geschrieben

Von Konstantin Kaip, Wolfratshausen

Wenn Susanne Leonhard etwas öffentlich vorliest, dann handelt es sich meist um trockene Materie. Die 56-Jährige leitet das städtische Bauamt in Wolfratshausen, und in den Schriftstücken, die sie im Sitzungssaal des Rathauses vorträgt, geht es um Abstandsflächen, Geschossflächenzahlen und andere Dinge aus Anfragen oder Bebauungsplänen. Am kommenden Montag wird Leonhard jedoch für Stadtratsbesucher überraschend ungewöhnliche Zeilen vortragen. In der Stadtbücherei liest sie über Schicksalsschläge, Gefühle und Gedanken von Frauen ihres Alters, und erzählt, wie sie etwas wagen und überraschend die große Liebe finden: Drei Romane hat Leonhard in den vergangenen Jahren abends zu Hause geschrieben und dann im Selbstverlag veröffentlicht.

Sie habe "aus therapeutischen Gründen" mit dem Schreiben angefangen, erzählt sie. Mitte 2015 hatte sie gesundheitliche Probleme und geriet in eine Lebenskrise. Sie litt unter einer Krankheit, die "zumindest verdächtig war, gefährlich zu sein". Also habe sie angefangen, ihre Überlegungen aufzuschreiben. Zunächst einfach so, ohne Namen, "wie man Tagebuch schreibt". Zu der Zeit habe sie auch viel gelesen und von der Möglichkeit erfahren, Bücher im Selbstverlag herauszubringen, was über "Print on demand" heute ohne Risiken möglich ist. So entstand die Idee, das Geschriebene zu einem Buch zusammenzufügen. "Ich habe gedacht: Das wollte ich schon immer machen. Mal schauen, ob ich das kann", erzählt sie.

So entstand ihre Heldin Dagmar, die an Brustkrebs leidet, ihren Mann durch einen tödlichen Unfall verliert und depressiv wird. Als sie erneut einen Knoten in ihrer Brust entdeckt, entschließt sie sich, dem Leben ein Ende zu setzen. Vorher geht sie aber noch auf eine Reise: Besucht ihre Tochter in London, ihren Sohn in Los Angeles und fährt noch einmal zu den Zielen ihrer Hochzeitsreise, Australien und Neuseeland. In Singapur lernt sie den galanten Australier Michael kennen. Die beiden verlieben sich ineinander, und auch wenn Dagmar das lange nicht wahrhaben will: Am Ende, so viel darf verraten werden, siegt das neue Glück.

Die Protagonistin habe viel mit ihr gemeinsam, sagt Leonhard: nicht die Krankheit, aber das Alter, die Stelle bei der Stadtverwaltung, die Liebe zu England und zu gelegentlichen Casinobesuchen. Interessiert habe sie aber etwas anderes: "Was macht jemand, wenn er plötzlich allein da steht? Und was hält ihn davon ab, wenn es ihm nicht gut geht, die Konsequenzen bis zum Schluss zu gehen?" Die Antwort im Schreiben zu finden war für Leonhard auch eine heilende Erfahrung, wie sie sagt. Ihre Gesundheit habe sich gebessert, es sei ihr wieder gut gegangen. "Wenn man sich damit beschäftigt, ein glückliches Ende zu finden, dann färbt das auch ab."

Ihr Werk fand - zu Leonhards eigener Überraschung - auch begeisterte Leser. Das Buch mit selbst gestaltetem Cover musste sie bald nachbestellen, für Freunde, Bekannte, Arbeitskollegen. Und die forderten bald auch ein zweites. Nach Dagmar schrieb Leonhard über Manuela, eine Reiseunternehmerin aus Wuppertal, die sich nach ihrer Scheidung mit ihrer Einsamkeit abgefunden hat, bis sie Ole trifft; und dann über Beate, eine Physiotherapeutin, die ihre Sportlaufbahn mit einem Triathlon auf Hawaii beenden will und ihrem Jugendfreund Robert wiederbegegnet.

"Golden Couples-Trilogie" nennt Leonhard ihre drei Bücher, die jeweils nach ihren Protagonistinnen betitelt sind. Ihre thematische Ähnlichkeit sieht die Autorin nicht als Problem. Schließlich gebe es "verschiedene Möglichkeiten, wie man mit Mitte 50 allein dastehen kann". Leonhard will zeigen, dass keine davon ausweglos ist, und so mit ihren Büchern auch Trost spenden. In der Literatur gebe es weibliche Hauptfiguren meist nur bis Ende 30, sagt sie. "Aber im Leben geht es da doch erst los." Das erlebe sie immer wieder im Freundeskreis.

Auch wenn die Protagonistinnen viel von ihr haben, gibt es doch einen entscheidenden Unterschied: Leonhard, Mutter zweier erwachsener Töchter, ist seit 31 Jahren "glücklich verheiratet", wie sie betont. Bei der Lektüre ihrer Bücher hätten Freunde und Bekannte sich auch gefragt, "ob da was im Busch ist", sagt sie und lächelt. Die geschilderten Liebeserlebnisse in Hotelzimmern und auf Kreuzfahrtschiffen seien jedoch rein fiktiv.

Wert legt Leonhard allerdings auf genaue Recherche. So hat sie die Städte, in denen ihre Geschichten spielen, alle selbst bereist. "Und wenn ich schreibe, dass jemand in aller Herrgottsfrüh in einen Flieger nach London steigt, dann gibt es diesen Flug auch."

Die Wolfratshauserin schreibt ihre Bücher nach der Arbeit im Rathaus zu Hause in einem eigenen Arbeitszimmer. "Schreiben ist auf jeden Fall eine hervorragende Art, um von meiner Arbeit zu entspannen", sagt die Bauamtsleiterin - und fügt hinzu: "Im Gegensatz zur landläufigen Meinung habe ich einen sehr stressigen Beruf." Leonhard ist deshalb auch weiterhin literarisch aktiv, mit den Protagonistinnen ihrer "Golden Couples"-Bücher hat sie aber vorerst abgeschlossen. "Ich experimentiere mit anderen Formen", sagt sie. Kürzlich habe sie einen Fantasy-Wettbewerb gewonnen, ihre Geschichte soll im Frühjahr als Kapitel eines Buches erscheinen. Aktuell arbeite sie an einem Krimi und "einer Art Familiensaga". Es werde aber dauern, bis die Bücher fertig seien.

Öffentlich vorgelesen hat Leonhard ihre Literatur noch nie. Sie habe zunächst gezögert, als Büchereileiterin Silke Vogel sie um diesen Auftritt gebeten habe, sagt sie. Schließlich stehe sie als Bauamtsleiterin in der Öffentlichkeit. Auf ihren Büchern steht daher nicht ihr voller Name, sondern nur H.S. Leonard (ihr erster Vorname ist Hildegard). Sie habe sich dann aber doch überreden lassen. "Momentan schwanke ich zwischen Freude und Nervosität", sagt sie über die anstehende Lesung. Aber nervös sei sie früher auch im Rathaus gewesen. "Man hat mir aber immer versichert, das merkt man mir nicht an." Die Lesung aus ihren Romanen in der Bücherei habe im Übrigen einen Vorteil gegenüber den Stadtrats- und Ausschusssitzungen: Zwar könne sie sich vielleicht einmal verhaspeln, sagt sie. "Aber niemand kann mich etwas fragen, das ich nicht weiß."

Stadtbücherei Wolfratshausen, Montag, 26. November, 20 Uhr, Eintritt: 10 Euro (inklusive einem Glas Wein), Reservierung unter Telefon 08171/76455. Die Bücher von H.S. Leonhard kann man in der Stadtbücherei ausleihen.

© SZ vom 24.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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