Lenggries:Frei entfaltet

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Die Künstlervereinigung zeigt mit ihrer Jahresausstellung "Papierwelten" in der ehemaligen Brauerei, wie viel Sinnenfreude und geistige Anregung Kunst geben kann.

Von Felicitas Amler

Rund um die Papier-Installation von Lisa Mayerhofer kreisen in der Ausstellung "Orbit. Papierwelten" die Beiträge der anderen Künstler. (Foto: Manfred Neubauer)

Man möchte in dieser Ausstellung ständig etwas anfassen. Die schlichten, stolzen Basalt-Stelen mit ihren Einkerbungen und raffinierten Farbvariationen von Thomas Link vor dem Gebäude. Die geheimnisvoll weiß-in-weiß changierenden Bilder aus Blindenschrift von Gabi Pöhlmann im Entree. Die selbstbewusst raumgreifende und doch so federleichte Installation von Lisa Mayerhofer aus Tausenden hängenden und miteinander vernetzten Papierstreifen-Büscheln. Die skurrilen Teebeutel-Tafelbilder von Ursula Maren-Fitz. Und endlich: Bei den Papierschiffchen derselben Künstlerin wird man aufgefordert, Hand anzulegen. Jeder Ausstellungsbesucher ist eingeladen, die poetische kleine Bootstour, die quer über die Saalbühne führt und schließlich die Rückwand hochschippert, zu ergänzen. Es liegt Papier bereit, das man mit einem Wunsch beschreiben und zu einem Schiffchen falten kann. Ein zauberhaftes Spiel.

Ursula Maren Fitz animiert mit ihren "Wunschbooten"zum Mitmachen. Im Hintergrund ihre Tafelbilder mit Teebeuteln und Taschenuhren. (Foto: Manfred Neubauer)

Und so ist die gesamte Jahresausstellung der Künstlervereinigung Lenggries: sinnlich und wonnevoll; inspirierend und packend. Das vorgegebene Thema "Papierwelten" entfaltet sich hier in seiner ganzen Breite. Vom haptischen Erlebnis bis zur geistigen Herausforderung wird vielerlei geboten. So macht uns die Braille-Schrift vielleicht darauf aufmerksam, welches unverschämte Glück wir haben, derlei mit unseren Augen wahrnehmen zu können. Günter Unbescheids Collagen - auf den ersten flüchtigen Blick nur hübsch bunte Bilder - konfrontieren uns mit Themen der Zeit. "Das Boot ist prachtvoll", lesen wir da etwa unter blau, grün und braun übermalten Zeitungsausschnitten heraus - und erinnern uns an die grässlich fremdenfeindliche Parole vom angeblich vollen Boot Deutschland.

Die beiden Vorsitzenden der Künstlervereinigung, Jürgen Dreistein und Ecki Kober, demonstrieren im Entree, von welcher Papierflut wir überrollt werden. (Foto: Manfred Neubauer)

Farblich bietet die Ausstellung aber auch schieren Genuss. Die dezenten Naturtöne der Skulpturen im Freien machen das satte Grün der Wiese erst richtig sichtbar. Die drei großen, in sich strukturierten roten Arbeiten von Ecki Kober, die im Saal hinter der farblich eher blassen Papier-Installation lehnen, lassen diese umso stärker wirken. Die Natur-Fotografien von Klas Stöver, mit Tinte auf Japanpapier gedruckt, schimmern wächsern grün-blau-grau.

"Es kommt drauf an, was man draus macht": Dieser Beton-Slogan trifft auch auf die Lenggrieser Schau zu. Papier gefaltet oder gerollt. Papier als Medium oder als Material. Papier als Ausdrucksmittel und als Wegwerfprodukt. All dies kann man hier sehen. Und dabei immerzu das wunderbare Raumgefühl spüren, das den Besucher schon beim Betreten der ehemaligen Brauerei mit ihren schlanken, hohen Rundbogenfenstern umfängt. Die zum multifunktionalen Pfarrheim umgestalteten beiden Etagen plus Galerie vermitteln Freiheit und Großzügigkeit. Ideale Voraussetzungen für die Präsentation von Kunst.

Raum allein ist freilich nicht alles. Es kommt auch hier drauf an . . . Und die Künstlervereinigung Lenggries zeigt geradezu exemplarisch, was sich draus machen lässt, wenn man Kunst ernst nimmt. Dies tun die beiden Vorsitzenden, Jürgen Dreistein und Ecki Kober; man kann das in der Ausstellung spüren - und im Katalog nachlesen. Da ist die Rede vom Suchen und Sich-Einlassen, von der Bereitschaft, Vertrautes in Frage zu stellen oder anders zu betrachten. Wer all dies tue, so schreibt Kober, "befreit seine eigene Wahrnehmung und belohnt sich durch intensiv nachhaltigere Lebensgefühle".

Genau so ist es: Man verlässt diese Ausstellung mit einem Wohlgefühl. Und mit der Gewissheit, den eigenen Horizont ein wenig geweitet zu haben. Das kann Kunst leisten. Wenn man sie lässt.

Künstlervereinigung Lenggries: Kunstwoche 2013, Thema "Orbit. Papierwelten". Pfarrheim, Geiersteinstraße 7, Lenggries; bis 29. September, Montag bis Freitag 12 bis 18 Uhr, Samstag/Sonntag 12 bis 18 Uhr.

© SZ vom 24.09.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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