Kunst:Blaues Wunder

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Die renommierte Künstlerin Katharina Sieverding zeigt in der Tölzer Wandelhalle ihre Projektion "Die Sonne um Mitternacht schauen" - eine Installation, die sie auch politisch verstanden wissen will

Von Petra Schneider, Bad Tölz

Stille und Dunkelheit herrschen in der Wandelhalle. Das einzige Licht strahlt von einer schwebenden Leinwand im hinteren Drittel des lang gestreckten Raumes. Eine blaue Sonne, die sich langsam um ihre Achse dreht. Wenn man sich der fünf mal fünf Meter großen Leinwand nähert, erkennt man Explosionen, helle Blitze, Sonnenstürme, Protuberanzen an den Rändern. Ruhe und eine majestätische Kraft gehen von diesem Bild aus, das in den beinahe unendlichen Weiten der leeren Halle einen idealen Ort gefunden hat. "Die Sonne um Mitternacht schauen", heißt die Projektion der Fotokünstlerin Katharina Sieverding, die im Rahmen der Ausstellungsreihe "Halle - Politik. Die Tölzer Wandelhalle - ein Großbau der Moderne wird herausgefordert" gezeigt wird.

Die vierteilige Reihe, die im August mit der Ausstellung "Death Metal" ihren Auftakt nahm, wurde von den beiden Künstlern Florian Hüttner und Till Krause konzipiert. Sie sind Mitbetreiber der renommierten Hamburger Galerie für Landschaftskunst, die seit vier Jahren die Wandelhalle als Dependance "Halle Süd Tölz" für Ausstellungen, Workshops und als Lagerraum nutzt. Ausgehend vom Spannungsfeld zwischen Architektur und Ideologie sowie der Frage nach einer langfristigen Nutzung der 1929 gebauten Wandelhalle, haben Hüttner und Krause vier Künstler eingeladen, sich anhand von Fotografien mit dem denkmalgeschützten Bau auseinanderzusetzen.

"Ich war sehr glücklich, dass die beiden mich gefragt haben", sagt Sieverding. Sie sei ganz hingerissen von diesem Raum. Die 71-Jährige, ehemalige Beuys-Schülerin, gehört zu den wichtigsten zeitgenössischen Fotokünstlern. Sie lehrte unter anderem an der Hochschule der Künste in Berlin und gehört seit dem Jahr 2008 dem Universitätsrat der Akademie der Bildenden Künste in Wien an. Ihre Arbeiten wurden unter anderem im Museum of Modern Art in New York und San Francisco gezeigt, in Amsterdam, Zürich, Turin und in vielen bundesdeutschen Museen.

Für die Tölzer Reihe hat sich Sieverding mit einer Fotografie zum Thema "Die Halle und die Hakenkreuzfahne" beschäftigt: Eine Feldpostkarte aus den 1930er Jahren zeigt den ehemaligen Konzertsaal der Wandelhalle mit einer Hakenkreuzfahne. Diese dominiert den menschenleeren Raum. Sieverding setzt dem von den Nazis missbrauchten, ursprünglich indischen Sonnensymbol, ihre blaue Sonne entgegen. Ein lebensspendender Himmelskörper als ästhetische Antwort auf ein ideologisches Überbild, das alles Leben und Denken unterwarf.

Sieverdings Sonne fordert dagegen zu Reflexion heraus, weil sie gängigen Vorstellungen widerspricht: Sie ist nicht warm und rot, sondern blau. Nicht statisch, sondern sich ständig verändernd. Sie scheint nicht tagsüber, sondern nachts - um Mitternacht, in der Phase äußerster Lichtferne. Um sie dann sehen zu können, müsste man durch die Erde hindurchschauen können, sie quasi entmaterialisieren.

Im Licht der blauen Sonne verliert auch die Erde ihre Selbstverständlichkeit. Die Sonne habe sie schon immer interessiert, sagt Sieverding. "Sie ist das einzige Objekt, das nie von einem Menschen betreten werden kann." Je mehr der Mensch in den Kosmos eindringe, umso mehr zerstöre er ihn. Seit den 1960er Jahren beschäftigt sich die Künstlerin in ihren großformatigen Fotoarbeiten mit der Sonne; setzt sie in Bezug zu gesellschaftspolitischen Fragen wie Umweltschutz, Emanzipation, subjektiver Identität und Macht. Und sucht die Verbindung zu Wissenschaft und Technik: "Die Sonne um Mitternacht schauen" ist eine interdisziplinäre Arbeit zwischen Naturwissenschaft und Kunst.

Sieverding greift dabei auf Bilddaten einer Nasa-Mission zurück, die seit 2010 im Netz veröffentlicht werden. Die Solar Dynamics Observatory Mission soll Erkenntnisse über Oberflächen- und Strahlungsphänomene der Sonne liefern. Tausende Nasa-Bilddaten hat Sieverding herunter geladen, immer wieder ergänzt und zu einer fortlaufenden Projektion verknüpft. Durch die Überblendung der statischen Fotografien werden Vorgänge auf der Sonne aus knapp zwei Jahren verdichtet. In einer kurzen Sequenz kann man auch die Venus erkennen, die murmelklein und wie im Zeitraffer an der Sonne vorbeizieht. Durch die verschiedenen Zeiteinstellungen ergeben sich permanente Verschiebungen, "die man auch politisch in Beziehung setzen kann", sagt Sieverding. Auch zur Historie der Wandelhalle. In den kommenden drei Wochen wird das blaue Licht also von der Abenddämmerung bis zum Morgengrauen durch die Glasfenster nach draußen scheinen. "Was immer das bei den Menschen hier bewirkt - ich hoffe, dass die Wandelhalle erhalten bleibt."

A usstellung bis 14. Februar, täglich 18 bis 20 Uhr, Wandelhalle, Ludwigstraße 14, Bad Tölz

© SZ vom 25.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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