Ausstellung im Landratsamt:Mit Kreativität und Lebenserfahrung

Lesezeit: 2 Min.

Erwin Wiegerling vor einem seiner Kunstwerke im Tölzer Landratsamt. (Foto: Manfred_Neubauer)

Im Tölzer Landratsamt stellt Erwin Wiegerling seine Objekte unter dem Titel "Erkennen-Bewahren-Sichtbarmachen" aus. Der Künstler wird in diesem Jahr mit dem Kulturehrenbrief des Landkreises geehrt.

Von Petra Schneider

Ein Landratsamt ist ein nüchterner Ort, an dem Sachlichkeit und klare Regelungen vorherrschen. Wer in diesen Tagen durch das Tölzer Landratsamt streift, kann ungewöhnliche Seherfahrungen machen: Die Natur erobert Gänge und Räume, großformatige Strukturbilder, ausgestopfte Vögel, bunte Tropenschmetterlinge vor Streubüschelwänden - rätselhaft und schön. "Erkennen-Bewahren-Sichtbarmachen" heißt die Ausstellung von Erwin Wiegerling, der in diesem Jahr mit dem Kulturehrenbrief des Landkreises ausgezeichnet wird.

Die Verleihung wurde wegen der Schneekatastrophe im Januar auf April verschoben, die Ausstellung im Landratsamt steht Besuchern aber bereits offen. Ein guter Grund, der Behörde einen Besuch abzustatten, denn die Ausstellung bietet seltene Einblicke in den anregenden Kosmos des 75-jährigen Künstlers und gelernten Kirchenmalers, der in seinen Restaurierungswerkstätten im Gaißacher Gewerbegebiet 60 Mitarbeiter beschäftigt und durch Großprojekte im öffentliche Raum und die Gestaltung sakraler Räume bekannt ist.

"Erwin Wiegerling ist im Landkreis ein ganz besonderer Künstler", sagt Landrat Josef Niedermaier beim Pressegespräch. Wiegerling, der seit über 40 Jahren als freischaffender Künstler arbeitet, habe sein Handwerk von der Pike auf gelernt, für seine Kunst nutzbar gemacht und mit Kreativität und Lebenserfahrung verfeinert. Der Künstler müsse sein Handwerk beherrschen, sagt Wiegerling, "und es braucht jemand, der die Kunst fördert". Sein Dank gelte dem Landrat und allen Verantwortlichen, "dass ich meine Arbeiten im Landratsamt präsentieren kann".

Eine Behörde ist ein Ort, an dem die Kunst zu den Menschen kommen kann, aber sie ist freilich keine Galerie; die Gänge sind schmal, die Wände mit Infotafeln oder Karten bestückt, im Obergeschoss hängen Wiegerlings Strukturbilder neben den realistischen Landschaftsbildern von Albert Spethmann. Der Kontrast könnte nicht größer sein, denn Wiegerlings Arbeiten bilden nicht ab und erschließen sich nicht unmittelbar. Sie brauchen Raum, damit der Schritt vom Sehen zum Erkennen möglich wird. Für die Ausstellung hat der Künstler auf Titel verzichtet, um dem Betrachter die Freiheit zu geben, selbst zu deuten. "Ich versuche seit Anbeginn, die Menschen zu erreichen", sagt er und hofft, dass viele Besucher ihre Assoziationen und Gedanken notieren und in einen Kasten werfen, der gegenüber der Zulassungsstelle aufgestellt ist.

Künstler Wiegerlings bevorzugte Materialien stammen aus der Natur. (Foto: Manfred_Neubauer)

Für seinen Stil hat er eine eigene Technik entwickelt, bei der er auf chemische Bindemittel weitestgehend verzichtet. Zu sehen etwa bei der zwei mal zwei Meter großen Jahreszeiten-Serie im Foyer. Wie bei einem Hinterglasbild werden verschiedene Schichten aufgetragen. Der lichte, orangefarbene Frühling, mit Birkenreisig auf die Leinwand geschlagen, Ockerpigmente und Aschepartikel darüber gepudert. Herbstblätter und Erde, weiß gefärbte Gräser - eine konservierte Natur, die durch ihre künstlerische Gestaltung eine besondere Wahrnehmung und Würdigung erfährt. Streubüschel aus dem Benediktbeurer Moor finden sich in fast allen Arbeiten des gebürtigen Augsburgers, der in Benediktbeuern lebt. Er verwendet die vergänglichen Überreste seiner "Arche Noah", die sieben Jahre auf dem Seeoner See trieb, "malt" mit Fruchtständen von Dattelpalmen. In seiner Ikarus-Serie, die im Obergeschoss zu sehen ist, bilden Palmfasern die Flügel, die sich mehr und mehr hinauf in einen lichten Orbit und zur Sonne schwingen. Anziehend und rätselhaft ist die Arbeit "Der menschliche Wille": Zwei Collagen, ein betörendes Lackrot, Moorgras, Tonscherben. "All zu oft scheitert es an dem Vermögen es durchzuführen," steht in geschwungener Handschrift drunter. Im zweiten Teil sind verwitterte Holzlatten sauber aufgeschichtet, die Streubüschel zu einer Art Symbol geformt, darunter der Satz: "Es liegt nicht alles an unserem menschlichen Willen." Erst durch einen gekonnten, gestalterischen Akt ist eine Form entstanden, eine Ordnung - Selbstverständnis seiner Kunst, oder religiöse Deutung? Vieles kann man erkennen in den Arbeiten von Wiegerling, wenn man sich einlässt.

Ausstellung im Landratsamt bis 30. April, geöffnet Montag 8 bis 18 Uhr, Dienstag bis Donnerstag 8 bis 16 Uhr, Freitag 8 bis 12 Uhr. Führungen mit dem Künstler nach telefonischer Vereinbarung unter 08041/505 505

© SZ vom 20.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: