Konzertrezension:Aufwühlende Kontraste

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Die "Neue Philharmonie München" unter der Leitung von Fuad Ibrahimov begeistert bei einem Benefizkonzert in der Loisachhalle mit Beethoven und Tschaikowsky

Von Klaus-Peter Volkmann, Wolfratshausen

Zu Herzen gehende Empfindungen, tiefe Gefühle - der Mensch kann ihnen nicht ausweichen. Manchmal jedoch sucht er sie sogar. Wer am Freitagabend in der Loisachhalle das Konzert der Neuen Philharmonie München besuchte, musste darauf gefasst sein, Emotionen pur zu begegnen, in Form von Musik, die mehr vom Leben ihrer Komponisten erzählen kann, als das mit Worten möglich wäre. Fuad Ibrahimov, der Leiter des seit etwa 15 Jahren bestehenden Projekt-Orchesters, das aus professionell agierenden, ausnahmslos jungen Musikerinnen und Musikern besteht, hatte diesmal Beethovens Egmont-Ouvertüre und Werke von Tschaikowsky gewählt, in denen es vor allem um das Verständnis und die Bewältigung eines "emotionalen Programms" geht, das der Musik zugrunde liegt.

Die Neue Philharmonie München unter Fuad Ibrahimov lotet emotionale Tiefe aus. Der Erlös des Abends geht an das Projekt Kinder in Not. (Foto: Hartmut Pöstges)

Zu Beginn also Beethovens Musik zu Goethes 1787 entstandenem Trauerspiel Egmont. Darin hatte der Dichter "Unaussprechliches der Musik anvertrauen" wollen. Erst 20 Jahre später, im Herbst 1809, erhielt Beethoven den Auftrag, für die Aufführung des Stücks am Wiener Hoftheater die Bühnenmusik zu komponieren. Bei dieser Gelegenheit also entstand die bis heute zum Standard-Repertoire jedes Sinfonieorchesters zählende Egmont-Ouvertüre.

Der historische Hintergrund des Trauerspiels, die Befreiung der Niederlande von der Unterdrückung durch Spanien, forderte vom Komponisten, den Weg aus der Knechtschaft zum Sieg musikalisch nachzuzeichnen. Die Ouvertüre beginnt mit wuchtig-düsteren Orchester-Akkorden und zeigt eine depressive Grundstimmung auf, ehe dramatisches Drängen die Oberhand gewinnt und am Ende zu einer strahlenden Siegessinfonie führt. Bereits hier zeigt sich Ibrahimovs große Ausdruckskraft im Dirigat, eine Ausstrahlung, die das Empfinden der Mitwirkenden unmittelbar erreicht und gleichzeitig das Publikum in seinen Bann zieht.

Maria Solozobova tritt als Solistin in Tschaikowskys Violinkonzert in Erscheinung. (Foto: Hartmut Pöstges)

Ist es bei Beethoven noch der Inhalt eines literarischen Kunstwerks, das der Musik zugrunde liegt, so verweisen die danach aufgeführten Werke ganz unmittelbar auf das Seelenleben des Komponisten. Zunächst Tschaikowskys Violinkonzert aus dem Jahr 1878, sein einziges - eines der bekanntesten und meistgespielten Violinkonzerte überhaupt. Es entstand während seines Erholungsaufenthalts am Genfer See, nach Depressionen und einem Nervenzusammenbruch. Das Werk lässt die innere Entspannung erkennen. Zarte und unbeschwerte Lyrik im ersten Satz, melancholisch poetisch der mittlere - und ein virtuoses Feuerwerk kraftvollen Lebens im Finalsatz verweisen auf das Wiedererwachen eines positiven Lebensgefühls.

Über den regen Zuspruch freuen sich Franz Deutsch (Musikwerkstatt Jugend), Carlotta Hagemeyer (Lions Club), Marina Holtkamp (Kinder in Not) und Pfarrer Florian Gruber (von links). (Foto: Hartmut Pöstges)

Als Solistin hatte Ibrahimov Maria Solozobova gewonnen, eine in Russland geborene und heute in der Schweiz lebende Virtuosin mit internationalem Renommee, die mit Tschaikowskys Violinkonzert schon von ihren Wurzeln her offenbar bestens vertraut war, stets kraftvoll zupackend, mit weiten melodischen Spannungsbögen in nahtloser Expressivität, durchgängig in technischer Perfektion. Das Orchester erwies sich mit vergleichbarer Intensität als Partner auf Augenhöhe und ließ der Solistin nur an sehr wenigen Stellen vielleicht zu wenig den wünschenswerten akustischen Vortritt.

Schließlich das Hauptwerk des Konzerts, Tschaikowskys 6. Symphonie ("Pathétique"), die wohl wie keine andere seiner Kompositionen Einblick in sein Seelenleben gewährt. Ihr Programm solle "ein Rätsel bleiben", es sei durch und durch von seinem "eigensten Sein durchdrungen", formulierte Tschaikowsky selbst - und verstarb unerwartet nur neun Tage nach der Uraufführung. In der "Pathétique" tun sich Abgründe auf wie in keinem anderen seiner Werke. Der Zuhörer begegnet allen emotionalen Höhen und Tiefen des menschlichen Lebens in voller Dramatik: gleich im ersten Satz klagende Düsternis, Leidenschaft und Verzweiflung; der zweite und dritte Satz wie ferne Erinnerungen an das Leben, zunächst mit dem zutiefst melancholischen "5/4-Takt-Walzer" und nachfolgend der Unruhe des sich zu einem fulminanten Marsch steigernden Scherzos; dann der abrupte Absturz in in Depression und Resignation, in die Suche nach innerem Frieden, mit einem wiederholten Aufbäumen gegen das Schicksal - vor dem Versinken in ewiger Stille.

Ibrahimov gelang es, die extremen Kontraste und emotionalen Tiefen dieser Symphonie in einer aufwühlenden Interpretation zu erschließen und mit seinem jugendlichen Orchester in einer erstaunlichen Aufführung hörbar zu machen. Makellose Blechbläser und ein runder, fein differenzierter Holzbläserklang, dazu der trotz extremer Herausforderungen nahezu perfekt agierende Streichersatz - die Neue Philharmonie bewies herausragende Qualität. Die gewaltige Wucht des Werks verfehlte ihre Wirkung auf das Publikum nicht. Am Ende zunächst ergriffene Stille, dann stürmischer, schier nicht endender Beifall in der fast voll besetzten Loisachhalle.

© SZ vom 04.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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