Konzertkritik:Wer wagt, gewinnt

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Unter anderem Chormusik von Tschaikowsky für den orthodoxen Gottesdienst bot das Ickinger Vokal-Ensemble in der Auferstehungskirche dar. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Das Ickinger Vokal-Ensemble unter der Leitung von Peter Francesco Marino präsentiert in seinem Jubiläumskonzert rares Repertoire

Von Sabine Näher, Icking

Zum 25-jährigen Bestehen darf es etwas Ausgefallenes sein, dachte sich Peter Francesco Marino, Leiter des Ickinger Vokal-Ensembles, und setzte ein weithin unbekanntes Werk aufs Programm: die Sieben Chöre zur Chrysostomos-Liturgie von Peter Iljitsch Tschaikowsky. Dessen Ballett-Musik ist zwar allgegenwärtig, auch noch gut vertreten sind die Sinfonien, schon seltener kommt die Kammermusik vor, aber Chormusik - und gar solche geistlicher Natur? Da konnte man am Samstagabend in der Ickinger Auferstehungskirche eine echte Entdeckung machen. Und nicht nur die Tatsache, dass es sich um rares Repertoire handelt, hatte ihren Reiz, sondern auch das Fremdartige dieser Musik an sich. Denn wer hat hierzulande schon Chormusik für orthodoxen Gottesdienst gehört?

Für die Ickinger Sänger war nicht nur die ungewohnte Tonsprache eine Herausforderung, sondern auch der russische Text. Auch wenn man dessen Authentizität nicht wirklich beurteilen kann: Es klang überzeugend. Schon für diese Souveränität gebührt dem Chor ein Kompliment. Der "Cherubinische Gesang" eröffnete mit hellem Jubel, auf den eine gesammelt-dichte Passage folgte, die sich zu einer kraftvoll-überzeugenden Aussage steigerte. Das folgende Glaubensbekenntnis war sehr sprechend ausgestaltet. "Heilig, heilig, heilig" kam freudig auffahrend. Sehr innig und geradezu samtweich geriet "Dir singen wir, dich preisen wir". Die folgende Marienhuldigung wirkte mit starker Überzeugungskraft. Das "Vater unser" gestalteten die Sänger voller Inbrunst. Das abschließende "Lobet den Herrn" begann sehr eindringlich, verhalten, um sich zu großer Expressivität zu steigern. Auffällig im Vergleich zum gewohnten Repertoire davor, einer Bach-Motette, war der über weite Strecken geschlossenere, dichtere Chorklang, der daraus resultierte, dass die hohen Stimmen tiefer geführt wurden. Dieser dunklere Klang wirkte reizvoll fremdartig. Sang der Chor bei Tschaikowsky unbegleitet, hatte ihm Marino für die Bach-Mottete "Jesu, meine Freude" ein Continuo in Form von Violoncello (Klaus Kämper) und Orgel (Johannes Buxbaum) an die Seite gestellt - eine durchaus übliche Praxis, die den Sängern die Orientierung in dem sehr anspruchsvollen Chorsatz erleichtert. Was für Außenstehende leicht klingen mag, hat es nämlich ganz schön in sich. Bach verlangt seinen Choristen einiges ab. Doch Marino geleitete seine Schar mit weichen Gesten und runden Bewegungen sicher durch die mitunter gefährlichen Klippen der Partitur. Und behielt die Nerven, auch wenn etwas aus dem Ruder zu laufen drohte. So gelang eine recht überzeugende Interpretation. Mit spürbarer Freude hob der Chor an, sehr konzentriert und diszipliniert auf Marinos sprechende Zeichengebung achtend. Mutig und mit Selbstvertrauen kamen auch die Einzelstimmeinsätze. Das Tempo stand indes nicht durchgängig; es wackelte hie und da, doch der Chorleiter fing die Abtrünnigen rasch wieder ein. Schön gelangen die gut durchdachten dynamischen Abstufungen. Leichte Intonationstrübungen sind, jedenfalls bei Laiensängern, fast unvermeidbar. Dafür gab es immer wieder einen "frischen" Ton von den Instrumenten, wenn eine neue Nummer begann. Die herrlich anschauliche Textzeile "Trotz dem alten Drachen" erfreute mit präziser Artikulation; das Wort "Tobe!" war sehr sprechend ausgestaltet. "So aber Christus in euch ist" zeigte seinen leicht schwingenden, fast wiegenden Charakter sehr schön; "Gute Nacht" entfaltete seinen geheimnisvollen Zauber. Der Schlusschoral "Weicht, ihr Trauergeister" hätte indes noch ein wenig mehr strahlen und leuchten dürfen.

Den Übergang von der Motette zu Tschaikowskys Chören schuf Klaus Kämper mit Bachs Suite für Solocello Nr. 5. Eine gewagte Programmzusammenstellung, denn Chorwerke und solch höchst anspruchsvolle Instrumentalmusik sprechen üblicherweise ein verschiedenes Publikum an. Doch Kämper gelang es, die Zuhörer in der voll besetzten Kirche mit seiner spannungsvollen Interpretation bei der Stange zu halten. Am Ende langer, herzlicher Beifall.

© SZ vom 12.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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