Konzert:Iffeldorf rockt Leipzig

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Den Iffeldorfern wurde die Ehre zuteil, als erstes auswärtiges Ensemble im frisch eröffneten Paulinum aufzutreten. (Foto: Veranstalter/oh)

Andrea Fessmann und ihre Ensembles begeistern in der Bach-Stadt mit dem "Weihnachtsoratorium in Jazz"

Von Sabine Näher, Iffeldorf/Leipzig

Der Schlusschor ist gerade verklungen, da bringt es ein Besucher in der ersten Reihe auf den Punkt: "Wahnsinn", murmelt er, "eine Sensation!" Dann bricht der Jubel los. Schon bei der Uraufführung 2016 in Iffeldorf begeisterten Andrea Fessmann, ihr Chor Klangkunst und das Iffeldorfer Bachorchester mit dem "Weihnachtsoratorium in Jazz" das Publikum. Am Wochenende haben sie Musikgeschichte geschrieben, indem sie das Werk nach Leipzig brachten, also an den Ort, wo Johann Sebastian Bach von 1723 bis 1750 als Thomaskantor wirkte.

Noch immer lebt sein Geist in dieser Stadt wie nirgends sonst. Und da kommt eine Truppe aus Oberbayern, um den Leipzigern eine neue Sicht auf "ihren" Bach anzubieten? "Das war schon sehr mutig", räumt Hans Hoche, Mitorganisator der Iffeldorfer Meisterkonzerte, ein. "Wir alle sind sprachlos", kommentiert er den tosenden Applaus am Samstagabend in der neu eröffneten Universitätskirche St. Pauli. Die so aber gar nicht genannt werden darf: Die Rede muss sein vom "Paulinum", Aula und Andachtsraum der Universität - ein Gebäude, um das in Leipzig regelrecht gekämpft wurde. Dort, wo es sich nun erhebt, hatte ursprünglich die 1240 geweihte Kirche eines Dominikanerklosters gestanden, das im Zuge der Säkularisation der Universität Leipzig übereignet wurde. Den Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs überstand die Kirche, doch ein Besuch des SED-Vorsitzenden Walter Ulbricht wurde ihr zum Verhängnis: Als Ulbricht sah, wie viele Studenten in die Gottesdienste strömten, ordnete er die Sprengung der Kirche an. Dieser barbarische Akt hinterließ eine Wunde, die nach der Wende wieder aufbrach. Erbittert wurde um einen angemessenen Nachfolgerbau gestritten. Die kirchenfeindliche Haltung der SED hat bis heute spürbare Auswirkungen.

Anfang Dezember wurde das Paulinum eröffnet, das inoffiziell schon wieder als "die Universitätskirche" bezeichnet wird. Wohl auch aus dieser Vorgeschichte erklärt sich, dass das Konzert der Iffeldorfer sofort ausverkauft war und eine öffentliche Generalprobe eingerichtet werden musste. In beiden Aufführungen volles Haus und jubelnder Applaus. Zu den ersten, die sich erheben, zählt am Samstagabend Christian Wolff, Pfarrer der Thomaskirche im Ruhestand: "Das ist absolut großartig, wie Bachs Musik und die Neukomposition so stimmig ineinander übergehen - und mit wie viel Lust hier musiziert wird."

Martin Petzold, Leipziger Tenor, der auch im Münchner Süden durch viele Auftritte bekannt ist und am Samstag wieder einmal als Evangelist glänzte, hat sehr persönliche Erinnerungen beizusteuern. Er war Thomaner und schwänzte am Tag der Sprengung die Schule, um heimlich zu fotografieren, wie St. Pauli in Schutt und Asche versank. "Ich habe damals fürchterlich geweint", erzählt er. "Und nun war es ein sehr bedeutsames Erlebnis für mich, im Eröffnungsgottesdienst und bei der berührenden Aufführung des 'Weihnachtsoratoriums in Jazz' mitwirken zu dürfen."

Komponiert hat das Werk der Jazzer Stephan König, der in Leipzig kein Unbekannter ist. Sein Jazz-Quartett und die Solisten Christina Roterberg (Sopran), Martin Petzold (Tenor), Anna Holzhauser und Maximilian Höcherl (Vocals) ergänzten in Leipzig wie schon in Iffeldorf Fessmanns Chor und Orchester. Ob es der Aura des Ortes, dem genius loci, zu verdanken war, bleibe dahin gestellt. Jedenfalls wuchsen die Iffeldorfer über sich hinaus. Wie immer von Fessmanns inspirierendem Dirigierstil befeuert, gelang ihnen schlicht alles: Der jubilierende barocke Gestus, die lässige Jazzhaltung, der rhythmische Sprechgesang, auch der Einsatz des Chores als klatschendes und stampfendes Percussion-Instrument. Das Orchester musizierte souverän brillant, die Jazzer brachten ihre unverwechselbare Farbe ins Spiel, die Sänger den klassischen Ton ebenso überzeugend wie den gehauchten Bar-Gesang.

"Ich habe die Entwicklung dieses Gebäudes über Jahre verfolgt, ich weiß um seine Geschichte", sagt Fessmann. "Ich wollte dieses Werk unbedingt an diesem Ort aufführen. Beide sind die perfekte Synthese aus Alt und Neu." Ursprünglich sollte das Paulinum 2009, zum 600-jährigen Bestehen der Leipziger Universität, eröffnet werden. In der Folgezeit gab es keine verlässlichen Prognosen. Nun hatten die Iffeldorfer die Ehre, als erstes auswärtiges Ensemble an diesem Ort zu musizieren. Das dürfte für alle Mitwirkenden ein unvergessliches Erlebnis bleiben.

Das "Weihnachtsoratorium in Jazz"ist in fast identischer Besetzung am Dienstag, 9. Januar, 20 Uhr, im Herkulessaal der Münchner Residenz zu hören.

© SZ vom 09.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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