Konzert an der Loisach:Ein Regenbogen der Gegensätze

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Dreiviertelblut stimmen auf dem Flussfestival ihre "Finsterlieder" an

Von Christa Gebhardt, Wolfratshausen

Dreiviertelblut, das ist zunächst einmal Dreivierteltakt und Herzblut. Beides ist reichlich vorhanden in den Liedern der gleichnamigen Band, die beim Wolfratshauser Flussfestival am Dienstag ihre "Finsterlieder" präsentierten und ihre Songs als folklorefreie Volksmusik bezeichnen. Dreiviertelblut, das sind der Filmmusikkomponist und Gitarrist Gerd Baumann und der Bananafishbones Sänger Sebastian Horn. Die beiden Frontmänner bewiesen von Anfang bis Ende eine charismatische Bühnenpräsenz: Baumann mit seiner Gitarrenkunst und seinen sarkastisch witzigen Moderationen, Horn mit seiner sonoren Nebelschwadenstimme und seinen charmanten Zwischentexten, die auch dem finstersten Lied die Schwere nehmen. Seit ihrer beider Zusammenarbeit für die Musik des Niederbayernkrimis "Sau Nummer vier" schöpfen die beiden aus dem Vollen der Musikstile: Mit den anderen Mitgliedern der Band kreieren sie ihren eigenen Sound: Es begegnen sich Walzer und Zwiefache, Folk und Klezmer, Rock, Punk und Jazz.

Dreiviertelblut birgt auch eine gewaltige Sprachpoesie in sich. Denn das Bayerische hat die immanente Kraft, Gegensätze von Leben und Tod in Reimen oder knappen Botschaften zu vereinen: Da spannt sich im Lied "Himmeblau" ein ganzer Regenbogen tragischen Elends auf, wenn der verstorbene Geliebte ("Ois is koid") aus dem Grab heraus zurück zu seiner Liebsten will, sich "Kummer" auf "Summer" reimt oder sein Geist spricht: "I will zu ihr, hol di zu mir, dass i net g'frier". Klarinettist Florian Riedl interpretierte die Höhen und Tiefen des Dramas mit einem fantastischen Solo und die anfänglichen Countryanklänge des Songs fanden ihr jazziges Ende, dem der Dreivierteltakt des Stubenmusiklieds "A moi" folgte, das ganz von der weit tragenden warmen Stimme Horns lebte. In allen Songs bestimmte der Inhalt die Form, der Text fand den Musikstil, der ihn entsprechend transportierte.

Neben dem Herzblut-Bekenntnis zur Musik setzt Dreiviertelblut ebenso auf menschliche Aussagen zu Solidarität, Nächstenliebe und Gemeinsamkeit. Der Politsong zum Thema Geflüchtete "Mir san net nur mir" beschwor mit aufschwellendem Crescendo und vollem Bläsersound das Klangbild eines Raumschiffs, in dem alle "auf unserm blaua Stoa" miteinander im Weltraum unterwegs sind, ohne Unterschiede von Religion, Nationalität oder Gesellschaftsschicht. Ferdinand aus Geretsried, genannt Ferdl, ist nicht der Einzige aus dem Publikum, der auch das überzeugt mitsang. Dem Musikliebhaber, der etwa 30 000 Platten in seiner Sammlung hat, gefällt die Vielfalt und die Gesinnung der Band, weil es auch seine eigene ist.

Dreiviertelblut bot schließlich ein drei Stunden langes heftiges Wechselbad der Gefühle und das Publikum liebte es. Sie mochten die melancholisch tiefgründigen Lieder wie "Falak", ein Stück, das den tief traurigen Schmelz eines argentinischen Tangos hat, oder die Lieder à la Ludwig Hirsch ("I liag am Rückn"). Begeistert beklatschten die Zuhörer die fetzigen, ausgelassen punkigen Stücke wie "Blutsauger", den mitreißenden "Deifidanz" mit Bläserdominanz oder das Testosteron geschwängerte "Wuist du mit mir danzn". Live miterlebt, bemerkte Ferdl, der die Band vorher nur aus dem Netz, dem Radio und natürlich aus seiner Plattensammlung kannte, gingen die großartigen Soli unter die Haut. Jene von Dominic Glöbl an der Trompete zum Beispiel, oder Baumann an der Gitarre, Florian Rein am Schlagzeug, Luke Cyrus Goetze an der Gitarre und Benny Schäfer, wunderbar dominant am Kontrabass.

Zugaben bis fast Mitternacht? Aber selbstverständlich. Und bestimmt nicht, weil Dreiviertelblut den zwischenzeitlich heftigen Wolkenbruch zeitlich aufholen mussten. Die Sieben von Dreiviertelblut sind Vollblutmusiker, die einfach große Freude am Auftritt haben und weil es ihnen "wurscht ist, ob jemand unsere Platten kauft", wie Horn sagte. Deshalb spielten sie nach all den musikalischen Stürmen noch ein letztes trauriges Liebeslied aus dem ersten Album "Unterholz", bekannt als Filmmusik aus Marcus H. Rosenmüllers "Wer früher stirbt ist länger tot". Und da sangen alle zusammen: "Ets woaß í´s quies, dass´ s Paradies am Himmi is."

© SZ vom 13.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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