Kloster Schäftlarn:Buch der Götterboten

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Im Kloster Schäftlarn wimmelt es von Engelsdarstellungen. Pater Emmeram Kränkl widmet den Wesen nun eine Publikation

Von Marie Heßlinger

Das Buch beinhaltet zahlreiche Abbildungen von Engelsdarstellungen im Kloster, so wie hier das Fresko von König David samt musizierenden Boten. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Pater Emmeram Kränkl wäre nie auf die Idee gekommen, ein Buch über Engel zu schreiben, würde er nicht im Kloster Schäftlarn wohnen, denn da "feiern die Hochkonjunktur", sagt er. So hat er sich also doch, ganz wissenschaftlich, mit jenen Wesen zwischen Himmel und Erde befasst. Pünktlich zur Weihnachtszeit soll "Biotop der Engel: Kloster Schäftlarn" im Eigenverlag erscheinen.

Da sind die musizierenden Engeln gleich über der Orgel, der Goldengel über dem Altar, und dazwischen die vielen Kinderengel, die alle Nischen des Raumes schmücken - insgesamt müssten es um die 100 sein. Die Kirche wurde 1750 gebaut. Damals waren Engel in. Und das sind sie auch heute noch. Nur nicht innerhalb, sondern außerhalb der Kirche. "Es glauben mehr Menschen in Deutschland an Engel als an Gott", sagt Pater Emmeram. "Das ist paradox. Aber Engel befrieden das Bedürfnis nach Nähe." Mehrere Tausend esoterische Bücher über die Wesen gebe es. "In der Kirche führen sie hingegen mehr oder weniger ein Randdasein." Einige namhafte Theologen, evangelische wie katholische, ebenso wie Philosophen, Psychologen und Soziologen haben sich mit der Frage ihrer Existenz befasst. Pater Emmeram, ehemaliger Abt in Augsburg und Philosophielehrer an der Klosterschule, hat sich mit deren Theorien befasst.

"Es ist so: Wenn in der Kirche etwas schwindet, taucht es woanders wieder auf", sagt der 78-Jährige. Er sitzt im hölzernen Empfangssaal des Klosters. So sei das mit dem Fasten gewesen, mit dem Weihrauch, und so ist es eben auch mit den Engeln. "Irgendwo scheint es ein Grundbedürfnis des Menschen zu sein,", sagt er, dass es Wesen gebe zwischen Mensch und Gott.

In seinem Buch beschäftigt sich Pater Emmeram mit Engelstheorie. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Um das Jahr 600 vor Christus wurden Juden ins Exil nach Babylon umgesiedelt. An den persischen Tempeln entdeckten sie Figuren, in Stein gemeißelt, welche die heiligen Stätten bewachten. Als "Hofstaat Gottes" schlichen sie sich in die jüdische Religion ein - frühe Engelsgestalten. "Engel" ist ein Lehnwort aus dem Lateinischen und bedeutet "Bote". In den ersten Büchern der Bibel waren sie oft gleichzusetzen mit Gott, das Wort schien austauschbar. Doch "je weiter Gott im Spätjudentum von den Menschen wegrückte, desto mehr mussten Engel die entstehende Lücke füllen." Das Christentum übernahm die Engel vom Judentum, ebenso wie ihre Gegenspieler, die Dämonen. Diese gelten als gefallene Engel. "Die Engel sind freie Wesen wie die Menschen", sagt Pater Emmeram. Gott habe sie vor die Wahl gestellt, ob sie ihm dienen wollten oder nicht. "Dann hätten sich - Konjunktiv - manche dagegen entschieden." Der Erzengel Michael habe sie aus dem Himmel verbannt.

Konjunktiv, wohlgemerkt, denn Pater Emmeram ist ein Mensch, der seine Worte wohl wählt. Während er spricht, wandert sein Blick über die Seiten des Manuskripts, in dem er blättert. Er ist ein großer Mann, der immer wieder lächelt, als müsse er ein großes Glück zurückhalten. In anderen Momenten blickt er schweigend neben seinen Zettelstapel, als hätte es ihm die Sprache verschlagen.

Zum Beispiel, wenn man ihn nach seiner persönlichen Meinung zu Engeln fragt. Er guckt auf seine Zettel, blättert kurz darin herum, legt sie zur Seite. "Also, in meinem Glaubensleben spielen sie keine Rolle", sagt er. Und ein andermal: "Grundsätzlich könnte ich mich mit der Existenz von Engeln eher anfreunden als mit der Existenz von Dämonen." Er erkenne eine gute Absicht, die hinter ihnen stecke. Man brauche eine Erklärung für das Böse in der Welt. "Die anderen Religionen nahmen gute Götter und böse Götter." Im Judentum und Christentum aber gebe es nur einen Gott. Wohin also mit dem Bösen? Der Teufel wurde zum Oberdämon. Mit grausamer Wirkung. Der Dämonenglaube gipfelte in der Hexenverbrennung um 1600. In ebenjener Zeit erlebten die Engelsdarstellungen eine "Geschlechtsumwandlung", wie Pater Emmeram es ausdrückt: Ihre Gesichtszüge wurden weicher, weiblicher. "Was haben denn die Männer gemacht?", sagt er. "Die haben Kriege geführt." Nicht das, was Engel tun.

Noch heute haben Engelsfiguren in vielen Darstellungen weibliche Züge. Und dann gibt es noch die speckigen Kinderengel - Putti. Für Pater Emmeram sind sie von rein architektonischer Bedeutung. Sie umschwirren Säulen, tragen Rahmen, "sie haben Aufgaben." Auch sie wurden mitgenommen aus der Antike: Den Amores, antiken Liebesgöttern, "hat man den Pfeil weggenommen und Flügel gegeben."

In den Apokryphen, jenen Texten, die nicht in die Bibel aufgenommen wurden, finden sich viele Engelsarten und -namen, insgesamt neun waren es im Mittelalter. In der Bibel durften, nach einem Beschluss des Papst Zacharias im Jahr 745, nur drei Engel namentlich genannt werden: die Erzengel Gabriel, Raphael und Michael. Erzengel verkünden Botschaften, die für die gesamte Menschheit von Bedeutung sind. Die "einfachen Engel" hingegen übermitteln Botschaften für Einzelne. Heutzutage wird zudem auf eine weitere Engelsart verwiesen - "Das sollen wir sein", sagt Pater Emmeram.

"Biotop der Engel: Kloster Schäftlarn", erhältlich im Kloster für etwa 10 Euro

© SZ vom 14.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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