Klinik-Streit in Wolfratshausen:Die offenen Wunden des Chefchirurgen

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Matthias Richter-Turtur kämpft auch nach vier Jahren noch gegen seine Kündigung als Ärztlicher Direktor des Kreiskrankenhauses.

Von Frederik Obermaier

Mit einem einzigen Satz fing Matthias Richter-Turturs Kampf an: "Ausgehend von einem einstimmigen Beschluss des Aufsichtsrates der Kreisklinik Wolfratshausen GmbH wurde das Arbeitsverhältnis mit Herrn Chefarzt Prof. Richter-Turtur heute mit sofortiger Wirkung beendet", erklärte das Landratsamt in Bad Tölz am 23. Februar 2007. Diese 24 Wörter waren der Höhepunkt einer "Vernichtungsintrige", sagt Richter-Turtur. Die logische Konsequenz von borniertem und geschäftsschädigendem Verhalten, sagen seine Gegner.

WOR, Kreiklinik / Foto: = Hartmut Pöstges = (Foto: Hartmut Pöstges)

Seit der Kündigung sind mehr als vier Jahre vergangen. Dutzende Aktenordner sind gefüllt worden, zahlreiche Urteile wurden gesprochen und ein Vergleich geschlossen. Doch Richter-Turtur lassen die Geschehnisse keine Ruhe. Er ließ sich in den Kreistag wählen, schreibt Leserbriefe, verschickt offene Briefe, spricht von Methoden "wie im Dritten Reich", sammelt Beweise gegen Kontrahenten von damals, kurzum: Er kämpft - um seinen Job, seinen Ruf und seine Berufsehre, die er verloren zu haben glaubt.

Richter-Turtur kam 1995 als Oberarzt an die Wolfratshauser Kreisklinik. Er sollte die Chirurgische Abteilung leiten und - so sah es sein Vertrag vor - nach dem Ausscheiden seines Vorgängers Chefarzt werden. Richter-Turtur war noch keine zwei Jahre in Wolfratshausen, als es zum ersten Streit mit der Geschäftsführung kam. Auslöser war ein Thema, das Jahre später auch zu Richter-Turturs Kündigung führte: Das Verhältnis von Medizin und Kommerz, von Ärzten und Geschäftsführern, von Richter-Turtur und Klinik-Chef Hubertus Hollmann. Dem seien betriebswirtschaftliche Überlegungen wichtiger als das Wohl der Patienten, hatte Richter-Turtur intern kritisiert. Es rumorte in der Klinik, Kritiker sprachen nur noch vom "Verwalter Hollmann". Anders als zehn Jahre später klärten Richter-Turtur und Hollmann ihren Konflikt intern. Es galt, die Kreisklinik zu modernisieren, um eine Schließung oder Privatisierung zu verhindern. Hollmann versprach, Richter-Turtur "in seinem ärztlichen Wirken nach besten Kräften zu unterstützen".

1997 wurde der schließlich Chefarzt, die Kreisklinik wurde später Lehrkrankenhaus der Universität München, der Ruf verbesserte sich. Doch die Zahl der behandelten Patienten sank. Über fünf Jahre hin seien rund 500 Chirurgie-Patienten weniger gezählt worden, es drohe ein Defizit von 1,3 Millionen Euro, klagte Verwaltungschef Hollmann. Um die Operationssäle besser auszulasten, wurde ein Bauchchirurg eingestellt und ein Zentrum für Viszeral-Chirurgie eröffnet. Mehr Patienten bringen mehr Einnahmen, lautete Hollmanns Rechnung: "Das sichert das Überleben der Klinik."

Zusätzlich sollte Richter-Turtur mehr Patienten behandeln. Ein Gutachten sollte Hollmanns Pläne untermauern. Dieses kam von der "Peter Milde und Partner Strategy Consulting" - einer in der Branche weitgehend unbekannten Beraterfirma. Hollmann war durch eine Talkshow auf Milde gestoßen, der darin als Gesundheitsexperte aufgetreten war. Weder die Bayerische Krankenhausgesellschaft noch der Bundesverband Deutscher Privatkliniken hatte je von ihm gehört. Einen fünfstelligen Betrag soll die Studie gekostet haben, das Ergebnis bestätigte Hollmanns Position: Die Klinik brauche mehr Fälle, die Orthopädie müsse eine Hauptabteilung werden.

Richter-Turtur war entsetzt. Das Gutachten sei "fachlich unzulänglich und wirklichkeitsfern", kritisierte er in einem Interview und wurde dafür abgemahnt. Richter-Turtur habe unerlaubt mit der Presse gesprochen, schrieb Hollmann. Vier Tage später entließ er den Chefarzt fristlos, der Betriebsrat stimmte zu. Der Arzt musste die Klinik binnen einer halben Stunde verlassen. Es war das Ende der Ära Richter-Turtur an der Kreisklinik und der Beginn eines jahrelangen Rechtsstreits.

Den Grund für den Rauswurf wollte Hollmann der Presse nicht nennen, so viel sagte er dann aber doch: Kein einzelner, sondern mehrere Gründe seien es gewesen, idealer Nährboden also für Gerüchte. Mediziner forderten öffentlich, die Kündigung zurückzunehmen, stattdessen solle Hollmann gehen. Die Klinikleitung geriet immer mehr unter Druck - zumal Richter-Turturs Anwalt im März die Gründe bekannt machte, welche die Klinik für die Kündigung nannte: Richter-Turtur soll dem Ärztlichen Direktor sowie dem Geschäftsführer der Tölzer Asklepios-Klinik am Telefon erzählt haben, die Kreisklinik wolle eine Orthopädie-Hauptabteilung eröffnen. Geheimnisverrat an einen Konkurrenten also.

Trotz eines geschlossenen Vergleichs:Matthias Richter-Turtur kämpft weiter - um seinen Job, seinen Ruf und seine Berufsehre, die er verloren zu haben glaubt. (Foto: Hartmut Pöstges)

Diese Information hatte Hollmann vom damaligen Tölzer Bürgermeister und heutigen Landrat Josef Niedermaier. Er hatte ihn in einem handgeschriebenen Fax ("-Vertraulich-!") darauf hingewiesen und das später per eidesstattlicher Versicherung bestätigt. Der Ärztliche Direktor aus Tölz jedoch bestritt das Telefonat. "Ich habe mit Professor Richter-Turtur nie telefoniert." Später erklärte auch der Anwalt der Klinik: "Diesen Vorwurf können wir so nicht aufrecht erhalten." Ohnehin hatte Hollmann das vermeintliche Geheimnis kurz nach dem kritisierten Verrat in der SZ verkündet.

Es entbrannte ein juristischer Kleinkrieg zwischen Richter-Turtur und der Klinikleitung. Mit einem Eilantrag auf Wiedereinstellung scheiterte der Chefarzt, die Klinik schob eine ordentliche, dann eine zweite fristlose Kündigung nach. Diesmal warf Hollmann Richter-Turtur vor, einen kritischen Artikel im Isar-Loisach-Boten selbst geschrieben zu haben, was das Blatt bestritt. Schließlich legte die Klinik den Brief eines Arztes vor, wonach sich die "Mehrheit der niedergelassenen Kollegen in Wolfratshausen und Umgebung" eine Zusammenarbeit mit Richter-Turtur "zur visceralchirurgischen Versorgung unserer Patienten" nicht vorstellen könne. Später distanzierte sich der Arzt von dem Brief.

Das Arbeitsgericht erklärte die erste Kündigung für unwirksam, lehnte die Klage gegen die zweite allerdings ab. Der Richter sprach von einem "Krieg der Schriftstücke" und legte einen Vergleich nahe. Die Klinik schlug Richter-Turtur eine Abfindung von 230 000 Euro vor, der forderte das Dreifache. Am 23. April 2009 einigten sich beide Parteien doch. Sie vereinbarten Stillschweigen, in einer gemeinsamen Erklärung hieß es: "Professor Richter-Turtur scheidet aus den Diensten der Klinik aus, um sich anderen Aufgaben zuzuwenden."

Es hätte das Ende des Kleinkriegs sein können. Juristisch zum Schweigen gezwungen, führt Richter-Turtur den Kampf aber inzwischen im Kreistag weiter. Hollmann und Niedermaier schweigen. Fragen zum Fall Richter-Turtur - etwa, warum die Hauptabteilung Orthopädie bis heute nicht eingerichtet ist - will Hollmann nicht mehr beantworten. Schon einmal hatte er wegen Recherchen von Journalisten zurückrudern müssen: Das Gutachten, das Richter-Turtur kritisiert hatte, sei lediglich "eine Beobachtung", betonte er damals.

Auch Niedermaier gibt sich wortkarg. "Ich will das nicht mehr aufwärmen", sagt er. Warum aber hat er eidesstattlich versichert, Richter-Turtur habe die Asklepios-Klinik über Wolfratshauser Pläne informiert, obwohl Richter-Turtur mit dem Ärztlichen Direktor aus Tölz nach dessen Angaben gar nicht gesprochen hatte? "Wenn ich gelogen hätte, hätte mich das Gericht verdonnert und ich wäre jetzt nicht Landrat." Er würde jederzeit wieder so handeln, sagt Niedermaier.

© SZ vom 25.06.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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