Kehrseite der Globalisierung:Vom Gehen und Ankommen

Lesezeit: 2 min

Karin Schreiber verfasst Lyrik über Flüchtlingsschicksale

Von Ute Pröttel, Starnberg

Es ist die Kehrseite der Globalisierung: Weltweit sind so viele Menschen wie noch nie auf der Flucht. Das Phänomen verbreitet Angst und Unwohlsein - und löste doch gerade auch in Deutschland eine Welle der Hilfsbereitschaft aus. Zwei Jahre lang gab die vormalige Deutschlehrerin Karin Schreiber Sprachkurse für Flüchtlinge im Helferkreis Herrsching. Dabei lernte sie viele Familien, Frauen, Kinder und deren Schicksale kennen. Es waren Begegnungen, die bei ihr das Interesse an Ländern wie Eritrea oder an der Kultur der Jesiden weckten und Schreiber zu Gedichten und Kurzgeschichten inspirierten. So können die in den vergangenen vier Jahren entstandenen Texte der heute 76-Jährigen als eine lyrische Chronik dieses aktuellen Zeitgeschehens gelesen werden. Im Gemeindesaal der Evangelischen Kirche in Starnberg trug die Dichterin, die 2016 mit dem Starnberger Undine Preis ausgezeichnet wurde, eine Auswahl ihrer Werke vor.

"An einem müden Sonntagnachmittag/ein verschlafener Ort in der Nähe von M./vereinzelt Spaziergänger, zumeist ältere Leute/nach dem Besuch eines Kirchenkonzerts/ geht sie barfuß auf dem heißen Asphalt/ die fremde Straße entlang...": So beginnt das jüngste Prosagedicht Schreibers "vom Gehen". Ein anderes Mal beobachtet sie eine Gruppe junger Flüchtlinge, die unter einer Esche sitzen, abseits des Herrschinger Schlossfestes und doch nicht zu weit weg, um gerade noch von den Tönen der bayerischen Blasmusik umweht zu werden.

In der Kurzgeschichte "und Roni malt", die in der aktuellen Ausgabe der Starnberger Hefte erschienen ist, reflektiert Schreiber das ungestüme Wüten eines kleinen Jungen aus einer jesidischen Familie. Als er ein Bild, das er zuvor in Blau und Rot gemalt hat, mit einem schwarzen Stift verunstaltet, setzt sie sich zu ihm. Das Bild löst in ihr Erinnerungen an ein kleines Mädchen aus, wie es kurz nach dem zweiten Weltkrieg sein einziges Spielzeug malträtierte. Erst Jahre später sei ihr klar geworden, dass dies eine Übersprungshandlung nach der Nachricht vom gewaltsamen Tod einer Tante auf der Flucht gewesen sei. Auch dem jesidischen Jungen ist nicht bewusst, warum er sein Bild zerstört oder warum er oft unleidlich ist. Schreibers Texte rühren an, weil sie nicht nur sehr subtil beobachtet, sondern auch schildert, was Begegnungen mit Flüchtlingen bei anderen auslösen. In "vom Gehen" balanciert die junge afrikanische Frau als lyrisches Ich einen großen Messingbehälter auf dem Kopf: "glänzend wie Gold in der Sonne/sanfter Widerschein auf den Gesichtern der älteren Menschen".

Im Wechsel mit der Lyrik gibt es Musik: Schreiber und Klaus Weighart am Klavier sind ein eingespieltes Team. Die ehemaligen Kollegen an der Realschule Dießen arbeiteten schon vor zwei Jahren bei der Präsentation von Schreibers Versepos "Wegmarken einer Flucht" zusammen und treten seither zwei- bis dreimal im Jahr auf. In Starnberg trugen sie ein in sieben Stationen unterteilte Versepos vor. Darin zeichnet die Autorin den Weg zweier junger Frauen nach, die ihr nach und nach ihre Geschichte erzählt haben. Für die beiden begann die Reise in Eritrea, führte durch den Sudan nach Libyen, von wo aus es übers Meer nach Italien ging.

© SZ vom 04.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: