In der Penzberger Stadthalle:Lebensphilosophin im Leopardenlook

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Macht gerne zwei oder mehr Sachen gleichzeitig: Kabarettistin Sissi Perlinger bei ihrem Auftritt in der Penzberger Stadthalle. (Foto: Harry Wolfsbauer)

In ihrem neuen Bühnenprogramm gibt sich Sissi Perlinger überraschend nachdenklich

Von Julie Heiland, Penzberg

Ach, wo soll das nur mit uns hinführen? Die Frauen wurden erfolgreich zur "Eier legenden Wollmilchfrau" gezüchtet, die ihre Kinder morgens in die Kita karrt, anschließend im knallharten Karrierekampf konkurriert, kalorienarme, kulinarische Köstlichkeiten kocht und nachts ihrem Gatten mit kuriosen Cunnilingus-Kapriolen den krassen Kick kredenzt. Die Männer tragen mit der Krawatte ein Relikt aus dem alten Babylon, als man Sklaven noch eine Schlinge um den Hals legte. Und der Nachwuchs? Der ist nicht nur handysüchtig, sondern auch "amazonisiert, zergoogelt und verappled." Was also tun? "Lächeln!", rät Sissi Perlinger, denn das setzt ja bekanntlich Endorphine frei.

"Worum es wirklich geht" lautet der Titel ihres neuen Programms, mit dem die Kabarettistin, Schauspielerin und Sängerin am Freitag in der Penzberger Stadthalle gastierte.

Die 55-Jährige ist eine Wucht: sprachgewaltig, energiegeladen, teils derb. Zwei Stunden lang jagt eine Pointe die nächste. Wie immer steht die Kultdiva im exzentrischen Leopardenkostüm auf der Bühne. Sie singt, trommelt, spielt Gitarre und gleichzeitig auch noch Schlagzeug: eine Art Ein-Frau-Orchester. Sie tanzt auf dem Tisch oder führt dem Publikum Yoga-Übungen vor - ganzer Körpereinsatz!

Wie der Titel des Programms bereits anklingen lässt, wird es teilweise philosophisch: Was ist der Sinn des Lebens, vor allem in Zeiten des Turbokapitalismus, in denen wir dazu erzogen werden, immer neuen Statussymbolen hinterherzujagen? In der ersten Hälfte ihres Auftritts verzückt Perlinger dabei wohl vor allem das weibliche Publikum: In Gestalt der wunderbaren, urbayerischen Nachbarin Resl wettert sie über Männer, die in ihrer Gattin eigentlich nur einen Mutterersatz suchen und nach der Hochzeit auf dem Sofa liegen und seltsame Geräusche von sich geben. Außerdem seien Männer testosterongesteuert und hätten sich im Lauf der Zeit so lange gegenseitig bekämpft, bis nur noch wenige unfassbar Reiche alles in der Hand hätten. "Und die fahren unseren Planeten gegen die Wand. Das ist das, worum es geht", sagt Perlinger ganz ernst.

Kräftig teilt Perlinger nach allen Seiten aus: Vor allem gegen Neonazis und die AfD ("Es ist inzwischen belegt: Jeder fünfte AfD-Wähler ist genauso blöd wie die restlichen vier"). Woher der Nachname Bolsonaro komme, schießt sie gegen Brasiliens ultrarechten Präsidenten. "Bolso" heiße übersetzt "Tasche" und "naro" so viel wie "doof" - also ein "blöder Sack". Perlinger streift das Klimapaket, das beim Erstellen mehr warme Luft erzeugt habe als es jemals Kohlendioxid einsparen würde, hetzt von verseuchten Lebensmitteln über die Volksdroge Fleisch bis hin zum Insektensterben. Auch über die Greta-Thunberg-Nörgler lässt sie sich breit aus. "Jetzt retten hoffentlich die Teenager unsere Erde, weil Vater Staat versagt".

Es gibt auch einen heiklen Moment: Als Nachbarin Resl sich an Abtreibungsgegnern auslässt, erntet die Kabarettistin nur unsicheren Applaus: "Die san nia für's Leben, die san immer gegen die Frauen", echauffiert sie sich. Am Ende macht Perlinger noch mal ihren Umwelt-Standpunkt deutlich: "Wir befinden uns in einem Wettlauf. Entweder wir erwachen oder wir werden verheizt. Nur gemeinsam können wir etwas erreichen."

© SZ vom 28.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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