Iffeldorfer Meisterkonzerte:Suggestive Muster

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Mit acht Klöppeln am Marimbaphon: Bei den vier Schlagzeugern der Münchner Philharmoniker sitzt jede Bewegung. Die Komposition "Millennium Bug" des Sizilianischen Komponisten Giovanni Sollima stimmt die Gäste in Iffeldorf auf einen vielschichtigen Abend ein. (Foto: Hartmut Pöstges)

Die Schlagzeuger der Münchner Philharmoniker demonstrieren mit Witz und Verve, was sich mit Schlagwerk anstellen lässt. Auch Aluleitern lassen aufhorchen

Von Paul Schäufele, Iffeldorf

Nein, was da klopft, ist kein Specht, der sich einen Baum ausmeißelt. Es ist zwar Holz, das da tönt, aber das Klopfen übernehmen die Schlagzeuger der Münchner Philharmoniker. Sie sind nach Iffeldorf gekommen, um den Wiederbeginn der Meisterkonzerte einzuleiten und präsentieren dazu mit Temperament und Witz den Reichtum des Schlagwerks. Wobei in den kreativen Händen von Sebastian Förschl, Stefan Gagelmann, Jörg Hannabach und Michael Leopold wohl fast alles zum Schlaginstrument werden kann, wie sich in der Mitte des Konzerts zeigt.

Wieso der sizilianische Komponist Giovanni Sollima sich für den Titel "Millennium Bug" entschieden hat, ist schwer zu erraten. Vielleicht hat er aber tatsächlich an die Koordination denken müssen, die nötig ist, damit Käfer nicht über ihre eigenen Beine stolpern. Der Gedanke kann kommen, wenn man sieht, wie präzise die Schlagzeuger, teils mit zwei Klöppeln pro Hand ausgerüstet, sich ein Marimbaphon teilen. Jede Bewegung ist abgestimmt, jeder Ton hat seinen Platz im rhythmischen Gefüge und ist Teil von Mustern, die ineinandergreifen und so ein bewegtes Ganzes ergeben. Auch die Zuhörenden, sicher nicht alle geborene Schlagzeug-Aficionados, sind damit aufgewärmt und gespannt auf das, was folgt.

Und was folgt, ist zunächst eine Art Subtraktion. Das melodische Element, das bei Sollima durch das Marimbaphon mit seinen in Tonleitern angeordneten Klangstäben noch gegeben war, ist bei Steve Reichs "Music for Pieces of Wood" fast ausgelöscht. Das Stück gilt als Klassiker der Minimal Music, bei der rhythmische oder melodische Muster immer und immer wieder wiederholt werden, geringfügig variiert. Das Ergebnis ist ein Klangprozess mit suggestiver Wirkung.

Bei den Schlagzeugern der Münchner Philharmoniker kommt noch ein performatives, theatrales Moment hinzu: In der Mitte der Bühne steht einer der vieren und schlägt stur ein rhythmisches Pattern mit zwei gestimmten Holzstäben. Wie zu einem Zentralgestirn treten nun nach und nach die anderen Mitglieder des Perkussions-Quartetts dazu, kommentieren und ergänzen den Hauptrhythmus mit den Klängen ihrer Hölzer - ein tickendes, klopfendes Perpetuum mobile, bei dem der Reiz in den minimalen Veränderungen der Klangstruktur liegt.

Die Schlagzeuger als Bühnenakteure stellen dabei einen weiteren wichtigen Aspekt der Minimal Music dar. Sie stehen für eine meditative Musizierhaltung, deren Grundlage eine Versenkung in die prinzipiell recht simplen Muster der Komposition ist. Und so sehen die vier aus, lässig aber hoch konzentriert. Was macht solche Musik mit einem Publikum? Das kann den langen Prozess der Klangfindung an sich wie Wolken vorbeiziehen lassen oder durch konzentriertes Hören erkunden, wo Muster verändert werden oder sich im Zusammenspiel vielleicht doch Melodieschnipsel ergeben.

Aus dem Modus der Kontemplation befreit dann das "Trio per Uno" des deutsch-serbischen Komponisten Nebojša Živković. Zu dritt wird hier an einer Großen Trommel gespielt, Bongos und kleine Gongs ergänzen die Besetzung. In der gemeinsamen Aufstellung an einem großen Instrument, der genauen Choreografie und der kontinuierlichen Steigerung in Intensität scheint das virtuose Stück als Nachstellung eines archaischen Rituals, bei dem keine Bewegung anders sein darf als hier ausgeführt. Das wirkt packend, bei aller Wildheit aber auch seriös, wie eine Kulthandlung.

Den spielerisch leichten Gegenpol finden die Schlagzeuger dann in einer Eigenkomposition, der "Easel Etude". Vielleicht stand am Beginn des Konzepts eine Regenrinne, die gesäubert werden musste. Denn ohne Leiter geht das schlecht, und wenn die schon einmal dasteht, kann man ja auch einmal versuchen, ein wenig draufzuhauen. In Iffeldorf stehen dann vier Bockleitern aus Aluminium auf der Bühne und werden mit nicht unerheblichem Körpereinsatz gründlich auf ihre klanglichen Möglichkeiten hin untersucht. Hier zeigt sich die Fantasie der Musiker, die es schaffen, auch in Baumarkt-Gerät perkussives Potenzial zu entdecken. Vielleicht inspiriert das den ein oder anderen Konzertbesucher, am Wochenende selbst einmal die Sprossen der eigenen Leiter abzuklopfen.

Erweitert wird die Besetzung noch einmal in Matthias Schmitts "Ghanaia", das auch traditionelle afrikanische Sounds mit einbezieht und so ein hinreißendes Klangbild des Kontinents entwirft. Ebenfalls von einer Ghana-Reise inspiriert ist Steve Reichs "Drumming", in dem er seine Methode des Phasing zum ersten Mal anwendete. Rhythmische Reihen werden dabei in unterschiedlichen, aber gleichbleibenden, Tempi wiederholt, sodass sich neue Kombinationen ergeben.

Das anspruchsvolle Stück meistern die vier Musiker und ernten nicht nur viel Applaus, sondern auch freundliche Unmutsbekundungen eines Publikums, das gerne noch mehr gehört hätte. Als kleine Entschädigung drehen die vier den Spieß um und beginnen ebenfalls zu klatschen, perfekt koordiniert natürlich, mit Steve Reichs "Clapping Music".

© SZ vom 29.06.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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