Iffeldorfer Meisterkonzert:Lyrische Vater-Sohn-Beziehung

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"Nur frisch, nur frisch gesungen": Christoph und Julian Prégardien bei ihrem mitreißenden Auftritt in Iffeldorf. (Foto: Hartmut Pöstges)

Die beiden Tenöre Christoph und Julian Prégardien begeistern mit einem außergewöhnlichen Liederabend

Von Paul Schäufele, Iffeldorf

Wie sieht ein Liederabend aus? Dieses Bild hat sich durch jahrzehntelange Wiederholung eingeprägt: Zwei Musiker im schwarzen Frack, ein spärlich beleuchteter Konzertsaal mittlerer Größe. Der eine sitzt am Flügel, möglichst diskret, scheinbar darauf bedacht, sich unsichtbar zu machen ("Bin ich zu laut?"), der andere steht an demselben Instrument wie der Redner vorm offenen Sarg. Der Zuhörer konnte sich da ohne Verlust geschlossenen Auges dem Gesang hingeben. Beim Iffeldorfer Meisterkonzert, das Christoph und Julian Prégardien, begleitet von Michael Gees, am Samstag im Gemeindezentrum gaben, wäre das ein Fehler gewesen. Ihre Interpretationen klassischer und romantischer Lieder, teils eigens zweistimmig bearbeitet, boten neben musikalischer Exzellenz auch eine optische Bereicherung des Formats.

Und nicht nur, weil die Stimmen von Vater und Sohn sich gelegentlich so ähneln, dass ein prüfender Blick zur Bühne notwendig ist. Obwohl sich dieser verblüffende Effekt gleich im ersten Lied des Abends, einem schwungvoll vorgetragenen "Komm lieber Mai und mache" einstellte. Vater und Sohn wechselten sich strophenweise ab, was dem Stück zusätzliche Dynamik verlieh. Die stellenweise improvisierte Klavierbegleitung trug dazu bei, wenn die extreme Betonung von Dissonanzen und das ständige Trillern auf Melodietönen auf die Dauer auch manieriert wirkten.

Dass die Stimmen nicht nur in Alternation zur Geltung kamen, sondern sich auch perfekt mischten, zeigte Mozarts "Abendempfindung an Laura", gesungen in einer zweistimmigen Bearbeitung.

Beide verfügen über ein silbriges Timbre, das beim Vater inzwischen auch in die baritonale Lage hinabreicht, über absolute Tonsicherheit und Textverständlichkeit und nicht zuletzt die Fähigkeit, einen Text über die bloße Wortbedeutung hinaus zu verstehen. Campes Text spricht zwar aus der Position eines Ichs, das angesichts des scheidenden Tages an das eigene Sterben denkt. Weshalb sollte man das zu zweit singen? Vielleicht, weil sich die Frage, wer von den Freunden am Grab trauern wird, in ihrer Menschlichkeit generationenübergreifend stellt. Die beinahe vibratolos geführten Stimmen stellten sicher, dass das Lied nicht in Terzen- und Sextenseligkeit erstickte, sondern im Gegenteil durch schlichte Klangschönheit und Lyrismus in seinen Bann zog. Nicht zuletzt ist es dieser Lyrismus, der Christoph Prégardien zu einem der angesehensten Liedsänger seiner Zeit machte und der Julian Prégardien zu seinem umjubelten Salzburger Debüt als liebeskranker Narraboth verhalf.

Mit Beethovens "Der Kuss" schließlich setzten die Prégardiens eines der ungeschriebenen Gebote der Liedkunst außer Kraft. Das Lied nach einem Text Christian Felix Weißes, in dem ein junger Stürmer und Dränger von einem nicht ganz oder zumindest nicht sofort einvernehmlich entstandenen Körperkontakt mit seiner Chloe spricht, brachten die Sänger in einer Mikro-Inszenierung auf die Bühne. Der Sohn charmant jede Note mit einem Lächeln auskostend im Vordergrund, der Vater hinter ihm sitzend, mal besorgt, mal ernst, mal kopfschüttelnd. Und schließlich von ihm aus dem Hintergrund, als Pointe, der Einwurf: "Und schrie sie nicht?" Ja, sie schrie, und das Publikum lächelte. Da wirkte es auch nicht fehl am Platz, als mit "Ännchen von Tharau" und "Frisch gesungen" zwei Lieder Friedrich Silchers folgten, dessen Werke im Volksliedton man eher mit Schützenchor und Gesangsverein in Verbindung bringt. Doch bei einem auf so natürliche Weise aufgelockerten Konzertabend wirkten die Verse "Nur frisch, nur frisch gesungen! / Und alles wird wieder gut" wie das programmatische Zentrum: Die Prégardiens singen einfach.

Das galt auch für Schuberts Kunstlieder. Zwei der "Vier Gesänge für vier Männerstimmen", hier eben in reduzierter Besetzung, machten den Auftakt, ehe mit "Des Fischers Liebesglück" und "Auf dem Wasser zu singen" zwei der bekanntesten Schubert-Lieder interpretiert wurden. Und wenn dann der Fischer singt "Und schweben wir selig", beschreibt das eben den Effekt, der sich beim Hörer einstellt, wenn er zwei Stimmen vernimmt, die so perfekt aufeinander liegen wie der Kahn auf dem See. Das änderte sich auch nicht bei Liedern wie "Der Zwerg" oder dem "Erlkönig", in dem eine Vater-Sohn-Beziehung auf die denkbar grausamste Weise zerrissen wird. In diesen Liedern wird wieder einmal deutlich, wie opernhaft gedacht Schuberts Kunstlieder sein können, gerade, wenn ein Sängerduo sie präsentiert, ohne sich vor Klanghärten in den kruderen Versen zu scheuen.

Mit den kunstvollen Volksliedbearbeitungen Brahms' - hier in der zweistimmigen Fassung Hermann Zilchers - wurde deutlich, dass Herzweh und Einsamkeit, von denen die Lieder künden, nicht geringer werden durch Zweistimmigkeit, dass es aber trösten kann, einen (Stimm-)Partner neben sich zu haben. Wie zur Vergewisserung tauschten die beiden immer wieder Blicke und flüchtiges Lächeln.

Ein sehr besonderer Abend, und doch an Tradition anknüpfend. Vokale Ensemblemusik gehörte zu Beginn des 19. Jahrhunderts zum Beisammensein in geselliger Runde. Zur Schubertiade hätte also nur noch Kartenspiel gefehlt. Es fällt allerdings schwer zu glauben, dass sich jemand darauf hätte konzentrieren können, angesichts der Klangmagie, die von der Bühne kam.

© SZ vom 09.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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