Kammermusik-Festival:Die Kunst des Zusammenklangs

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Das Trio Sora spielt neben Brahms und Haydn Zeitgenössisches von Mauricio Kagel. (Foto: Astrid di Crollalanza/oh)

Beim "Ickinger Frühling" finden sich am 20. und 21. April in fünf Konzerten starke individuelle Stimmen zu einem harmonischen Ganzen zusammen.

Von Paul Schäufele, Icking

Drei, vier gänzlich unterschiedliche Menschen, die in einer Runde sitzen und an einem Strang ziehen. So selten das am familiären Esstisch vorkommt, in der Welt der Kammermusik ist es gelebte Wirklichkeit. Bettina Gaebel, Vorsitzende des Vereins Klangwelt Klassik, erkennt darin eine Botschaft: "Starke Einzelstimmen, die zu einem wunderbaren Zusammenklang kommen, das kann das Leben verändern." Auch in diesem Jahr laden sie und der Verein zum "Ickinger Frühling" ein. Bei dem zweitägigen Festival wird im Konzertsaal des Ickinger Rainer-Maria-Rilke-Gymnasiums Kammermusik aus vier Jahrhunderten zu hören sein.

Um ein vielfältiges Programm zu gestalten, sind Bettina Gaebel und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter unterwegs, verfolgen Wettbewerbe, lernen neue Ensembles vor Ort hörend kennen. So wurden sie auf das junge Trio Incendio aufmerksam. Mit dem tschechischen, erst 2016 gegründeten Klaviertrio macht eine aufstrebende Formation den Auftakt zum Festival. Neben dem fest im Repertoire etablierten zweiten Klaviertrio von Antonín Dvořák stehen auch zwei weniger gespielte Werke auf dem Programm.

Dass das Opus 1 des polnischen Komponisten Andrzej Panufnik überhaupt gespielt werden kann, grenzt an ein Wunder. Das 1935 entstandene Werk wurde während des Warschauer Aufstands 1944 zerstört, was den Komponisten nicht davon abhielt, es später aus dem Gedächtnis zu rekonstruieren. Mit dem dritten Klaviertrio Bohuslav Martinůs bereitet das Trio Incendio ein weiteres Werk eines Kompatrioten vor, noch dazu ein selten originelles. Am Samstag, 20. April, wird es von 16 Uhr an zu hören sein.

Das 2016 gegründete Klaviertrio Incendio eröffnet den "Ickinger Frühling". (Foto: Vojtech-Havlik/oh)
Das erste Abendkonzert gestaltet das Aris Quartett. (Foto: Maximilian Mann/oh)

Anders als im vergangenen Jahr, als je ein Tag einer Gattung gewidmet war, darf sich am zweiten Samstagskonzert ein Streichquartett vorstellen (Beginn 19.30 Uhr). Das unter anderem beim ARD-Wettbewerb ausgezeichnete Aris Quartett dürfte einigen Konzertbesucherinnen und -besuchern noch im Gedächtnis sein, denn in Icking machte es während der Pandemie durch seine Spontaneität von sich reden. Wegen unvorhersehbarer Beschränkungen im Kulturbetrieb hatte Gaebel bei den vier Musikern angefragt, ob sie das geplante November-Konzert in den Juli vorverlegen könnten. Das geschah. "Und es war magisch", erinnert sich Gaebel. Bei ihrem nächsten Ickinger Besuch spielen sie Mendelssohns erstes Quartett, Ligetis "Métamorphoses nocturnes" und Beethovens Streichquartett Nummer 15, das nach dem Mittelsatz auch unter dem Beinamen "Heiliger Dankgesang" bekannt ist.

Fünf Konzerte in zwei Tagen, ist das nicht ein bisschen viel? "Wir empfinden das als Fest", sagt Gaebel. Es gehe schließlich nicht darum, ein Konzert zu hören, wieder den Mantel an der Garderobe abzuholen und nach Hause zu fahren. "Man kann sich hier vollständig auf die Musik einlassen, in eine andere Welt eintauchen und sich austauschen." Zwischen den Konzerten gibt es bei Kaffee und Kuchen genügend Gelegenheit, über das Gehörte zu plaudern.

"Wir empfinden das als Fest": Bettina Gaebel leitet den Verein Klangwelt Klassik. (Foto: Hartmut Pöstges)
Das Goldmund Quartett spannt einen Bogen von Haydn bis Schostakowitsch. (Foto: Gregor Hohenberg/oh)

Zum Beispiel über das Konzert des französischen Trios Sōra. Der Name bezeichnet in einer indigenen Sprache den "Vogel, der während der Reise singt", und der auf Deutsch weniger poetisch Carolinasumpfhuhn heißt. Am Sonntagvormittag, 21. April, spielt das Trio Haydns Klaviertrio Nummer 39 mit dem Finale "a l'Ongarese", Brahms Horn-Trio Opus 40 in der Besetzung für Klaviertrio und Mauricio Kagels Trio Nummer 2, entstanden 2001. Dieses steht in intrikater Beziehung zu den Terroranschlägen vom 11. September, was im einführenden Vortrag eine Stunde vor Konzertbeginn thematisiert werden wird. "Das Publikum wird nicht alleingelassen mit der Musik", sagt Gaebel, der die Vermittlung Neuer Musik ein besonderes Anliegen ist. "Es gibt nicht nur Haydn, Mozart, Beethoven, sondern auch diese Musik, die in unsere Gegenwart gehört."

Ein apartes Zwischenspiel bietet das bereits etablierte Forum für Nachwuchsmusizierende, "Junge Klassik", in dem ein vielversprechendes Klavier-Geigen-Duo eine Bühne bekommt (14 Uhr). Die Pianistin Kaori Kashimoto und die Geigerin Mai Suzuki haben ihre Studien erst vor Kurzem abgeschlossen und zeigen ihr Können in einem konzisen Programm bei freiem Eintritt.

Auf dieses Intermezzo folgt das Abschlusskonzert des Festivals mit dem in der Region bestens bekannten Goldmund Quartett (16 Uhr). Es spannt einen großen Bogen, der von Haydns Quinten-Quartett über Alexander Borodins zweites Streichquartett reicht bis hin zu Anton Weberns "Langsamem Satz" und Dmitri Schostakowitschs hoch konzentriertem siebten Quartett.

Gerade am Goldmund Quartett bestätigt sich die These: Hier kommen vier höchst unterschiedliche Künstlerpersönlichkeiten zusammen und beflügeln sich in intelligentem Dialog zu musikalischen Höchstleistungen. Dass die Konzerte in einer Schule stattfinden, motiviert Bettina Gaebel zu neuen Projekten. Für die Zukunft plant sie eine stärkere Kooperation mit dem Gymnasium, zumal jetzt, da kreative Fächer im Umfang gekürzt werden. "Eine katastrophale Entwicklung" nennt Gaebel das. Der Ickinger Frühling darf deshalb auch so verstanden werden: als klingendes Argument für die Bereitschaft, sich über alle Differenzen hinweg auszutauschen.

Ickinger Frühling, Konzerte am Samstag, 20. April (16 Uhr und 19.30 Uhr), und Sonntag, 21. April (11 Uhr, 14 Uhr und 16 Uhr), Karten für Einzelkonzerte (je nach Kategorie 34 oder 28 Euro) oder für das Gesamtpaket (105 oder 85 Euro) unter www.klangwelt-klassik.de, Telefon 08178 7171 oder ticket@klangwelt-klassik.de

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