Asyl in Icking:Überraschungen auf allen Seiten

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Die ersten Flüchtlinge kommen in die Ickinger Turnhalle. Darunter sind zwei schwangere Frauen. Die Situation verblüfft die Helfer und verunsichert die Asylbewerber.

Von Claudia Koestler, Icking

Ein improvisiertes Pappschild vor den Abtrennwänden der Ickinger Turnhalle sagt mit wenig Worten viel an diesem Donnerstag: "As-salamu-alaykum, welcome, Grüß Gott in Icking."

Es ist ein Tag voller Überraschungen. Asylbewerber sollen erstmals im Landkreis in eine Turnhalle ziehen. Doch wie viele genau, war bis zuletzt unklar. Erst am Morgen des selben Tages erfuhren die Verantwortlichen im Landratsamt und daraufhin auch der örtliche Helferkreis, dass zunächst 25 Flüchtlinge ankommen würden, genauer gesagt elf Paare und drei Einzelpersonen aus Somalia, Nigeria, aus Afghanistan und Syrien. Wann sie allerdings ankommen, bleibt unwägbar: Statt sie zusammen mit einem Bus nach Icking zu bringen, waren den Betreffenden einfach Bahntickets und eine Wegbeschreibung in die Hand gedrückt worden. Und diese Vorgehensweise beschert sowohl den Asylbeauftragten des Landratsamtes als auch den Ehrenamtlichen einen Tag, an dem vor allem zwei Tugenden gefragt sind - Geduld und Flexibilität.

Am späten Vormittag liest ein Ickinger Helfer per Zufall das erste Paar im Ort auf, das gerade von der S-Bahn zur Turnhalle laufen will. Sofort wird klar: Eine andere Bitte des Landratsamtes, nämlich keine Familien mit kleinen Kindern in der Turnhalle unterbringen zu müssen, legt die Regierung eigentümlich aus. Denn die Frau ist hochschwanger, genauer gesagt ist die Geburt seit eineinhalb Wochen überfällig. Die sieben Helfer, die den beiden einen herzlichen Empfang bereiten, stehen jetzt vor einer neuen Herausforderung: Sofort ist zu klären, was es im Falle der Geburt zu organisieren gilt. Das Glück kommt den Ickingern dabei zu Hilfe: Denn mit Simone Färber, der Frau des Schulhausmeisters, lebt eine Hebamme zufällig gleich nebenan.

Die ersten Flüchtlinge sind am Donnerstagnachmittag in die Ickinger Turnhalle eingezogen. Im Gebäude selbst war das Fotografieren untersagt. (Foto: Hartmut Pöstges)

Doch auch wenn sich die Ickinger sehr um das Wohl des Paares bemüht, die beiden Ankommenden sind enttäuscht. "Das Lager, in dem wir vorher waren, war besser, da hatten wir immerhin einen Raum für uns. Mir fehlt Privatsphäre", sagt Revelar Athembo. Sie kommt aus Kenia, ihr Freund Edison Osuagwo aus Nigeria. Athembo hat ein konkretes Ziel: Sie will vergessen, was sie in ihrem Heimatland erlebt hat. Zwei Monate sei sie nun unterwegs, die Flucht sei anstrengend und kräftezehrend gewesen, das habe sie vorher "so nicht erwartet". Jetzt einfach mal ausruhen, irgendwo ankommen, das wäre nötig. Doch die Turnhalle wird eine Zwischenstation bleiben, auch wegen des Babys, das bald zur Welt kommen wird.

Die Helfer, die sich rührend um den Empfang der Ankommenden kümmern, haben seit den frühen Morgenstunden Brote geschmiert und sogar auf den kleinstmöglichen Nenner in Sachen Ernährungsgewohnheiten geachtet: Kein Schweinefleisch, dafür Pute, Käse, Süßigkeiten, literweise Tee und Schalen mit Datteln, Mandeln und Rosinen, die auf den Biertischen am Hallenrand stehen. Die Kosten dafür übernehmen die Helfer derzeit privat. Zu spät ist klar: Nötig war das nicht - denn das Landratsamt hat Catering geordert, weil für die Küchenzeile keine Geräte mehr rechtzeitig zu finden waren. Und es mangelt an Abnehmern für das eine wie das andere: Stunde um Stunde passiert - nichts. "Wir wollen empfangen, aber es kommt niemand", fasst es Sabine Dollmann zusammen. Und die wartenden Helfer erfahren eine Ahnung, wie es ist, nichts zu tun zu haben.

Selbst drei Stunden später hat sich die Halle nicht weiter gefüllt. Immerhin kommt ein zweites Paar an, das Nötigste in blauen Müllsäcke auf dem Kopf tragend und - Überraschung - ebenfalls in Erwartung eines Kindes. Asylbetreuer Oliver Stocker klärt die Formalitäten und fragt zum Schluss: "Are you rich?", zu Deutsch: "Sind Sie reich?" Wie bei Hartz IV müssen die Vermögensverhältnisse geklärt werden. Das Paar aus Nigeria antwortet erwartungsgemäß mit nein. Bislang habe ihn noch kein Asylbewerber mit einer anderen Antwort überrascht, sagt Stocker. Und wartet mit allen anderen weiter.

© SZ vom 02.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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