Ickinger Konzertzyklus:Weil auch das Schöne sterben muss

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Kleines Ensemble, große Wirkung: Philipp Amelung leitet auf der Empore der Heilig-Kreuz-Kirche das Theodor Schüz Ensemble, das gerade einmal aus 16 jungen Sängerinnen und Sängern besteht. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Ein gereifter Philipp Amelung und das Theodor Schüz Ensemble überzeugen mit Gabriel Faurés Requiem in der Heilig-Kreuz-Kirche.

Von Paul Schäufele, Icking

Der November ist gewöhnlich ein trüber Monat; der kalte Herbst, der "den Tag zu knebeln" vermag (wie Rainer Maria Rilke weiß), macht sich bemerkbar. Zudem ist er der Monat des Totengedenkens. Trost zu suchen ist daher in diesen Tagen nur angemessen. Und zu finden ist er etwa in Icking, wenn der Schlusstag des dortigen Konzertzyklus musikalische Lichtblicke in Gestalt von exzellent aufgeführter Chormusik bietet.

"Auch das Schöne muss sterben!" Mit diesem Ausruf setzt Johannes Brahms' Vertonung der Schiller'schen "Nänie" ein. Bedeutungsschwer tönen die Worte durch die Pfarrkirche Heilig Kreuz, erst im Piano, dann zum profunden Forte anwachsend. Ein ausgewogener, runder Klang ist es, der den Kirchenraum füllt. Indes, wer einen Blick über die Schulter riskiert, wird staunen. Das von Philipp Amelung 2017 gegründete Theodor Schüz Ensemble, das auf der Empore positioniert ist, besteht aus gerade einmal sechzehn jungen Sängerinnen und Sängern. Es ist Amelungs Chorleitung und der Qualität der Gruppe zu verdanken, dass die Klangwirkung größer ist - wenn sie es sein soll. Denn Brahms' Chorwerk ist episodisch angelegt, was Amelung und sein Ensemble raffiniert umsetzen. Auf den breit strömenden Anfang, der vom Ende des Schönen singt, folgt der Mythos des regelbrechenden Orpheus und seiner Eurydike, deklamierend und die imitatorischen Einsätze transparent nachvollziehend. Für den vom Kriegsgott aus Eifersucht getöteten Adonis findet das Ensemble dramatische Intensität, um mit dem Heldentod des Achilles würdevoll zu schließen.

Der Organist ersetzt ein ganzes Orchester

Einen verlässlichen Partner haben Amelung und sein Chor in Stefan Palm. Der Kirchenmusiker, Rektor der Hochschule für Kirchenmusik der Diözese Rottenburg-Stuttgart, ersetzt durch sein durchdacht registriertes Orgelspiel ein ganzes Orchester. Während er passenderweise in Brahms' Werk von der Vergänglichkeit des Schönen dunkle Klangfarben einsetzt, hat er in den Choralvorspielen desselben Komponisten mehr Freiheit. Dennoch ist dieses instrumentelle Zwischenspiel dramaturgisch gut eingebunden. Am Ende steht das Präludium zum Choral "Herzlich tut mich verlangen", in dem Brahms der Melodie einen unruhig bewegten Hintergrund in Sechzehntel-Noten beigestellt hat. Der Schluss ist versöhnlich und leitet so passend in das Hauptwerk des Abends ein.

Gabriel Faurés Requiem kennt kein Dies-irae-Posaunengetöse und keinen klingelnden Sanctus-Jubel. Damit steht es quer zur Tradition. Diese Totenmesse ist ein zutiefst persönliches Werk, die Umsetzung einer individuellen Glaubensaussage. Dem Theodor Schüz Ensemble und seinem Leiter gelingt es, begleitet vom sensibel unterstützenden Orgelspiel Stefan Palms, diese Aussage auf den Punkt zu bringen.

Das ist wunderbar, andererseits auch nicht ganz überraschend. Amelung, der den Ickinger Konzertzyklus im Jahr 2000 ins Leben gerufen hat und ihn im kommenden Jahr zum letzten Mal gestalten wird, formuliert ein eindeutiges Resümee dieser Jahre: "Ich bin hoch dankbar dafür, dass ich mich mit der Reihe entwickeln konnte. Ich habe unglaublich viel gelernt." Die Erfahrung in der Orchester- und Chorleitung werden in jedem Konzert aufs Neue hörbar. Durchsichtigkeit, Klarheit, die Kunst der Phrasierung, all das gelingt Amelung scheinbar mühelos.

Inspiration und Erfahrung gehen Hand in Hand

Dazu kommt, in diesem speziellen Fall, die Fähigkeit, das richtige Maß zu treffen. Faurés Requiem ist ein in sich gekehrtes, meditatives Werk. Und doch schaffen die Sängerinnen und Sänger es, Kontraste einzuführen, ohne den Charakter der Komposition zu verfälschen. "Exaudi" singen sie im ersten Satz mit Emphase, ohne zu brüllen. Im Folgesatz dominiert ein ausgeglichener Flächenklang, der in Hans Portens stimmschönem Bariton-Solo einen Kontrapunkt hat. Ähnliches geschieht im "Sanctus".

Für die musikalische Darstellung der Dreifaltigkeit hat Fauré ein so simples wie sinniges Verfahren angewendet. Zu einem schlichten Dreitonmotiv gesellt sich eine in Triolen dahinfließende Begleitung. Einzig für das "Hosanna" kommt der Chor zu neuer Kraft, die durch das himmlische "Pie Jesu" ausgeglichen wird. Julia Hinger präsentiert es mit vollem Sopran als echten Zuruf: "Schenke ihnen Ruhe!" Dritter im Bunde der hochbegabten Jungsolisten des Ensembles ist Sebastian Walser (Bariton), der dem Wunsch nach Rettung im "Libera me" kräftigen Ausdruck verleiht.

Schwebend, in großem melodischem Bogen, geleitet das Requiem "In paradisum". Der Chor scheint schon losgelöst vom Körperlichen, so rein klingt das Werk aus. Momente der Stille folgen, Augenblicke der Einkehr und des Nachdenkens, ehe der Beifall einsetzt. Er kommt mit Ovationen, die dem Dirigenten ebenso gelten wie seinem Chor und dem zuverlässigen Begleiter. Inspiration und Erfahrung gehen hier Hand in Hand, sodass eine Voraussage für das nächste Jahr nicht allzu gewagt erscheint: Den "runden Abschluss", den Philipp Amelung sich wünscht, wird es für den Ickinger Konzertzyklus zweifellos geben.

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