Icking:Einfach wumba!

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Alinde Rothenfußer ist Überlebenskünstlerin, phantastische Expressionistin, Galeristin und Kuratorin ihrer selbst. Ein Porträt.

Felicitas Amler

Es ist mit diesem Lachen wie mit einem exquisiten Wein: Erst beim Abgang weiß man wirklich, wie man dran ist. Alinde Rothenfußers Lachen beginnt ganz unschuldig, perlend, heiter, wie ein leichter Rosé, sehr feminin. Doch es mündet in ungeahnte Tiefe, erdenschwer, herb, dunkelrubinrot und charaktervoll. Sie lacht oft, gern, viel. Und wie ihr Lachen, so scheint die ganze Frau zu sein: voll sonniger, fröhlicher und künstlerischer Leichtigkeit, doch dabei von einer nicht zu unterschätzenden Stärke, Vitalität und Ernsthaftigkeit.

Bunt und lebensbejahend - so drückt Alinde Rothenfußer (Künstlername: Alinde) sich in ihrem Werk, oft auch in ihrer Kleidung aus. (Foto: Hartmut Pöstges)

Sie ist Künstlerin durch und durch. Kunst ist ihr zentrales Lebensthema. Sie ist ihr Ausdrucks- und ihr Überlebensmittel. Alinde Rothenfußer kämpft seit einiger Zeit gegen eine sehr schwere Krankheit. "Ich weiß, dass die Kunst mich über meine Krankheit begleitet", sagt die 71-Jährige. Und es hört sich kein bisschen kokett an, wenn sie weiterfährt: "Der Tod ist der Höhepunkt des Lebens. Ich habe überhaupt keine Angst."

Sie hat die Kunst, und die hat für sie etwas Religiöses. Doch noch ist Alinde ja da. Und wie! Zur jüngsten Ausstellung in ihrem Ickinger Haus - der Galerie Orplid - hatte sich die Künstlerin aus Holzleisten und Hasendraht eine sehr eigenwillige raumgreifende Kommode fertigen lassen: zwei große Schubladen, in der ihre Werke zu Dutzenden zählten, allesamt 32 mal 42 Zentimeter groß, alle in hellem Holz gerahmt und zum Durchblättern in Viererreihen hinter- und nebeneinander aufgestellt.

Das Ganze ist ein selbstironisches Kabinettstück. Es präsentiert die überwältigende, die schier unvorstellbare Produktivität der Künstlerin. Überall in ihrem großen Haus hängen ihre Werke an den Wänden, in Zimmern und Fluren, bunt und expressiv - zum Schlafzimmer hin werden sie ein wenig erotisch, und in Seitengelassen stapeln sie sich von Besucher-Augen noch unentdeckt. Es sind Hunderte. Mindestens. Vielleicht schon Tausende? Sie muss unablässig am Werke sein, anders ist dies nicht erklärlich.

Und dabei hat sie längst ihre eigene Technik kreiert. Auch hier wieder ein Augenzwinkern - sie nennt diese Technik "Alrographie". Man wird das Wort in keinem Kunst-Lexikon finden - bisher jedenfalls. Es steht für Alinde- Rothenfußer- Graphie. Es ist eine Mischtechnik. Sie spielt mit Tusche und Volltonfarbe. Aber ausprobiert hat Alinde (beim Künstlernamen verzichtet sie auf Rothenfußer) schon alles: Transparentpapier, mit Tusche von vorn bemalt, mit Wachsmalkreide von hinten. Holz- und Linolschnitt, Collagen - "weil mir eins viel zu langweilig ist". Bloß kein Getue um die Art der Farbe und der Technik: "Schaut's den Beuys an", sagt sie, "es kommt nicht darauf an, mit was man malt, sondern auf das Endergebnis."

Und dieses Ergebnis, das sollte dann doch etwas mehr bieten als abstrahierende Farbe und Form. Alinde hat da sehr klare Postulate. Es gebe "so viele, die abstrakt drauflosschmieren". Nein, sagt sie, man müsse sein Handwerk schon gelernt haben. Wie Picasso. Der habe bekanntlich "zwanzig Jahre gebraucht, um wieder so malen zu können wie ein Kind".

Die Kunst besteht für Alinde darin, etwas wegzulassen und gerade damit etwas darzustellen: "Zwischen zwei Strichen muss alles drin sein." Wer ihr neuestes Produkt gesehen hat, weiß, was da alles drin sein kann. Alinde hat eine DVD gefertigt: Zu den Klängen der Goldberg-Variationen von Johann Sebastian Bach - es ist die berühmte Aufnahme mit Glenn Gould am Piano - sieht man 51 Minuten und 16 Sekunden lang eine vermeintlich ungegenständliche Alrographie nach der anderen. Pure Meditation.

Und gleichzeitig eine Abenteuerreise. Man entdeckt Fauna und Flora, taucht in Unterwasserwelten ab, wähnt hier einen Tanzenden zu erkennen, dort einen weiblichen Akt, sieht in den schwarzen Tuschekreationen vor roten, grünen oder blauen Hintergründen Affen, Amöben, Hunde, Vögel und anderes Getier. Es ist ein Schwimmen und Springen, Gleiten und Gebären, Flüstern und Knistern. Und das alles untermalen die Goldberg-Variationen mit der gleichmütigen, exakt strukturierten Harmonie des Barock.

Wenn man Alinde Rothenfußer kennenlernt, käme man nicht so ohne Weiteres darauf, dass Bach ihr Lieblingskomponist ist. Die DVD aber lässt den Zuschauer und Zuhörer spüren, wie gut die beiden Künstler - die freigeistig phantastische Expressionistin und der streng formulierende Barockkomponist - zusammengehen. Ganz "wumba" - so hätte die kleine Alinde seinerzeit gesagt. Als Dreijährige habe sie "wunderbar" eben noch nicht aussprechen können, erzählt sie, dabei sei damals so vieles wumba gewesen.

Vor allem die Malerei, zu der sie durch Mutter und Vater geführt wurde. Mutter Martha Sappel war autodidaktische Malerin, Vater Anton Sappel Schauspieler und Sänger, der in der Nachkriegszeit den traditionsreichen Münchner Kunstverein wieder aufleben ließ. "Er hat sein eigenes Vermögen reingesteckt. Und so bin ich aufgewachsen." Schon als Kleinkind habe sie gedacht: "Ich will der Wilhelm Busch werden."

Das klingt nach unbeschwerter Kindheit - die aber so rosig wohl doch nicht war. Die Mutter war depressiv, Alinde - so benannt nach einem Schubert-Lied - litt als Zehnjährige unter Tuberkulose, besuchte nur unregelmäßig die Schule, brachte sich nach eigener Erinnerung das Lesen und Schreiben selbst bei ("Ich habe sämtliche Klassiker gelesen"), kam in eine Kloster-, dann in eine Hauswirtschaftsschule, wollte Tierärztin werden - und arbeitete seit ihrem 15. Lebensjahr im Kunstverein mit. Schüchtern sei sie damals gewesen, sagt sie: "Ich habe mich immer versteckt."

Umso erstaunlicher, wie lebensstark sie wurde. "Ich war eine Überlebenskünstlerin - und eigentlich allein." Als sie dreißig ist und zwei Kinder aufzuziehen hat - allein -, da will sie doch noch einen gutbürgerlichen Beruf ergreifen. Sie lässt sich zur staatlich examinierten Krankenschwester in der Psychiatrie ausbilden, arbeitet als Stationsschwester im niederbayerischen Mallersdorf und lernt dort ihren späteren Ehemann Walter Rothenfußer kennen.

Gemeinsam gehen die beiden nach München, er lässt sich als Augenarzt nieder, sie gründen Haushalte in Solln und Icking. Sie habe schon als junge Frau "gerackert", sagt die 71-Jährige. Und so habe sie sich auch ihre Häuser verdient: eine kleine Finca in Spanien schon mit zwanzig, mit 27 dann ein Bauernhaus in Niederbayern. Heute pendelt sie zwischen Icking und Solln hin und her - Galerien hat sie an beiden Adressen etabliert.

Eigene Galerien braucht man freilich, wenn man so einen Anspruch hat: "Ich bin die Kuratorin meiner selbst - immer schon gewesen. Ich stell' woanders net aus", sagt sie mit ihrem steten kleinen bayerischen Anklang. "Ich bilde mir mein eigenes Forum." Sich und jenen Künstlern, die sie als solche akzeptiert und respektiert - "bei denen man merkt: Da ist ein schöpferischer Geist".

Denn das allein scheint für Alinde zu zählen: "Dieses Gefühl, dass man an der Schöpfung beteiligt ist, vom Kopf in die Hände - unbeschreiblich!" Nie würde sie es "Arbeit" nennen, sagt sie. Es habe etwas mit Religion zu tun - "im tiefsten Sinn" - und sei allenfalls mit einem Orgasmus vergleichbar: "So wunderbar, dass einem Hören und Sehen vergeht." Sie wirft den Kopf in den Nacken, ruft gespielt kindlich "wumba!" und lacht ihr Lachen bis zum mächtigen Abgang.

© SZ vom 05.01.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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