Hingucker:"Artiges Abenteuer" überm Walchensee

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Vom Kesselberg aus genießt der alte Goethe eine herrliche Aussicht auf den Walchensee. Die Skulptur von Hans Schwegerle wurde 1933 aufgestellt. (Foto: Neubauer)

Am Kesselberg erinnert eine Skulptur an Goethe, der dort einer elfjährigen "Mignon" begegnet war.

Von Sabine Näher, Kochel am See

Hier kommt die Auflösung zum "Hingucker" aus der Mittwochsausgabe: Am 3. September 1786 bricht Johann Wolfgang von Goethe aus Karlsbad, wo er zur Kur weilt, heimlich zu seiner ersten Italienreise auf. Er ist auf der Flucht, will die verhassten Dienstpflichten am Weimarer Hof des Herzogs Carl August hinter sich lassen und wieder Freiraum für seine schöpferische Arbeit gewinnen. Inwiefern auch die ungeklärte Beziehung zur verheirateten Hofdame Charlotte von Stein Anlass zum heimlichen Aufbruch gibt, bleibt Spekulation. Goethe reist jedenfalls unter falschem Namen: als Johann Philipp Möller, Kaufmann aus Leipzig. Von Regensburg fährt er nach München, von dort nach Kochel und über die schon Ende des 15. Jahrhunderts errichtete Kesselbergstraße hinauf zum Walchensee. Anlässlich seines 100. Todestags ließ die Gemeinde Kochel 1933 auf der letzten Serpentine der neuen Kesselbergstraße eine Goethe-Büste errichten. Hans Schwegerle schuf das Kunstwerk aus Basaltstein, das auf einem gemauerten Natursteinsockel inmitten bogenförmiger Sitzmauern ruht.

Seine Reiseeindrücke: "Als ich um fünf Uhr von München wegfuhr, hatte sich der Himmel aufgeklärt. An den Tiroler Bergen standen die Wolken in ungeheuern Massen fest. (. . .) Ich gelangte nach Wolfratshausen und erreichte den achtundvierzigsten Grad. (. . .) Nun ging mir eine neue Welt auf. Ich näherte mich den Gebirgen, die sich nach und nach entwickelten. Benediktbeuern liegt köstlich und überrascht beim ersten Anblick. (. . .) Nach Walchensee gelangte ich um halb fünf. Etwa eine Stunde von dem Orte begegnete mir ein artiges Abenteuer: ein Harfner mit seiner Tochter, einem Mädchen von elf Jahren. (. . .) Ein artiges ausgebildetes Geschöpf, in der Welt schon ziemlich bewandert. (. . .) Sie unterhielt mich recht gut. Hübsche große braune Augen, eine eigensinnige Stirn, die sich manchmal ein wenig hinaufwärts faltete. Wenn sie sprach, war sie angenehm und natürlich, besonders wenn sie kindischlaut lachte; hingegen wenn sie schwieg, schien sie etwas bedeuten zu wollen und machte mit der Oberlippe eine fatale Miene. (. . .) Sie versicherte, dass es gut Wetter gäbe. Sie trügen ihren Barometer mit sich, und das sei die Harfe. Wenn sich der Diskant hinaufstimme, so gebe es gutes Wetter, und das habe er heute getan. Ich ergriff das Omen, und wir schieden im besten Humor, in der Hoffnung eines baldigen Wiedersehns."

Soweit der Auszug aus Goethes "Italienischer Reise", die er anhand seiner Reisetagebücher 30 Jahre später verfasste. In dem Mädchen lässt sich die Mignon aus "Wilhelm Meisters Lehrjahre" erahnen, der Goethe eines seiner berühmtesten Gedichte in den Mund gelegt hat: "Kennst du das Land, wo die Zitronen blüh'n".

Drei SZ-Leser lösten das Bildrätsel sofort: Irmtraud Findler und Wolfgang Hezel aus Wolfratshausen sowie Wolfgang Heine aus Urfeld.

© SZ vom 18.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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