Geschichten zum Hirschgulasach:Jäger und Gejagte

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Experten für Wilderer-Geschichten: Hermann Paetzmann, Reiner Lorz, Sabrina Schwenger und Hannes Kirchhofer (von links) in der Flößerei. (Foto: Hartmut Pöstges)

Der Verein Flößerstraße inszeniert in Wolfratshausen Thomas Erzählung "Die Halsenbuben"

Von Thekla Krausseneck, Wolfratshausen

Der Herbst ist die Jahreszeit der warmen Zimmer und spannenden Geschichten - und des Jägerschutzpatrons Hubertus. Dessen Jahrestag ist am 3. November. Aus diesem Anlass hat der Verein Flößerstraße seine Wildererlesung auf den vergangenen Samstag gelegt: Rainer Lorz, Sabrina Schwenger, Hannes Kirchhofer und Hermann Paetzmann ließen Ludwig Thomas auf einer wahren Begebenheit beruhende Erzählung "Die Halsenbuben" im Wirtshaus Flößerei lebendig werden. Sie liehen urigen Figuren ihre Stimmen und begeisterten damit ein rund 75 Zuhörer starkes Publikum, das sich in einer Pause Bauernenten und Hirschgulasch schmecken ließ. Musikalisch begleitet wurde die Veranstaltung von der Stadtkapelle Wolfratshausen.

Thoma gilt als einer der populärsten bayerischen Literaten, und doch darf sein Werk nicht unkritisch gelesen werden. In seinen letzten Lebensjahren rief der überzeugte Nationalsozialist wiederholt zum Judenmord auf; der Miesbacher Anzeiger druckte seine anonymisierten Hetzschriften, die sogar Hitler inspiriert haben sollen. Der Rauschmittelgenießer und Kirchenkritiker Thoma, der 1921 starb, wäre heute ein Bayer, ein Förster "und bei der AfD", gab die Autorin Gabriele Rüth, Vorsitzende des Vereins Flößerstraße, im Vorfeld der Lesung zu bedenken.

In deren Zentrum steht die Seeschlacht auf der Isar, ein tödlich verlaufender Streit zwischen königlichen Jägern und flößenden Wilderern. Max Thoma, der Vater des Dichters, war zu jener Zeit Oberförster in Vorderriß und erlebte den Vorfall persönlich mit; aus seinem Bericht strickte Thoma die Kurzgeschichte, die Ludwig Ganghofer als Vorlage für seinen Roman "Der Jäger von Fall" diente.

Thomas "Die Halsenbuben" spielt im Herbst 1869: In dem Lenggrieser Hof "Beim Halsen" wachsen die "hoch gewachsenen und breitbrustigen Burschen" Halsen-Toni und Blasi auf. Sie schauen in eine glänzende Zukunft, bis Blasi beim Wildern von Jägern erschossen wird. Sein Rache schwörender Bruder soll einige Zeit später selbst auch gefallen sein, heißt es.

Schwenger, Kirchhofer, Lorz und Paetzmann nehmen ihr Publikum in einer spannenden und abwechslungsreichen Inszenierung mit ins Vorderriß des 19. Jahrhunderts: Wäre draußen vor den Fenstern nicht ab und zu ein Auto zu hören, könnte man direkt glauben, man säße in einem Gasthaus im Wald und in der Dunkelheit knallten die Schüsse. Selbst der Vollmond leuchtete über dem Gasthaus, wie von Thoma beschrieben.

Viel Schweiß, Blut und Tränen hat die Feindschaft zwischen Jägern und Wilderern fließen lassen: Beide Gruppen erschossen sich gegenseitig - bis nach langer Zeit den Wilderern der Eintritt in den Jagddienst erleichtert wurde. Der kolossale Wilddiebstahl nahm stark ab. Die nun mit einem fixen Einkommen und einer bescheidenen Abschusserlaubnis versehenen Jäger wurden zu den erbittertsten Gegnern ihrer ehemaligen Genossen.

Hintergrundberichte ergänzten die Lesung. Thomas Erzählung beruht auf einer wahren Begebenheit, entspricht aber trotzdem nicht ganz den Tatsachen. Die Uni Regensburg hat im Jahr 2007 die Fakten mit der Fiktion abgeglichen und festgehalten: Thoma hat seine Erzählung zugunsten der Wilderer romantisiert, was an Sätzen wie "Sie starben im grünen Walde" abzulesen sei. Der Oberförster aus Vorderriß - Thomas Vater - wird als Menschenfreund inszeniert, der einem verwundeten Wilderer hilft. In Wahrheit schrieb Max Thoma, er sei froh, dass den dreisten Dieben das Handwerk gelegt worden sei. Auch starb bei der Seeschlacht wohl nicht der Blasi, sondern der Toni. Dass die beiden die von Thoma beschriebenen schillernden Gestalten waren, ist zu bezweifeln. Als Blasi zwölf Jahre später in der Jachenau erschossen wurde, schrieb Thoma in seinen Erinnerungen: "Niemand hat dem Blasi nachgetrauert, denn er war als gewalttätiger Mensch gefürchtet."

© SZ vom 06.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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