Geretsried/Wolfratshausen:Der Nachbar schafft's

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Loxxess zieht mit 80 Mitarbeitern über den Loisach-Isar-Kanal. Das sagen Bürgermeister und Unternehmer zur Konkurrenz der beiden Städte.

Von Claudia Koestler und David Costanzo, Geretsried/Wolfratshausen

Der eine Bürgermeister kriegt sich kaum ein vor Freude. Der Geretsrieder Michael Müller (CSU) vergisst dabei glatt, den Namen des neuen Unternehmens zu nennen, das seiner Stadt 80 neue Arbeitsplätze beschert. Und der andere - der Wolfratshauser Klaus Heilinglechner (BVW) - sagt zerknirscht: "Natürlich ist das ärgerlich." Wenige Kilometer liegen die beiden Rathäuser nur auseinander, aber die Gemütslagen könnten unterschiedlicher kaum sein. Wieder ein Gewinn für Geretsried, wieder ein Rückschlag für Wolfratshausen.

Seit Wochen war die Verkündung des ersten Unternehmens im neuen Gewerbegebiet Gelting-Ost auf Geretsrieder Gemarkung angekündigt. Neue Jobs für die Region, mehr Kaufkraft - das war die Erwartung an das Projekt. Und dann lautet die Nachricht: Loxxess zieht mit ihren 80 Mitarbeitern der Wolfratshauser Niederlassung einmal über den Loisach-Isar-Kanal und kauft Geretsried auf einen Schlag ein Drittel des neuen Gewerbegebiets ab, gut 30 000 Quadratmeter.

Hier wachsen die neuen Arbeitsplätze Geretsrieds auf der grünen Wiese: Im Gewerbegebiet Gelting-Ost baut Loxxess eine Niederlassung auf 30 000 Quadratmetern. (Foto: Hartmut Pöstges)

Das löst Unruhe aus in den Unternehmerkreisen der Flößerstadt. Er habe sich "sehr geärgert", als er vom Umzug der Firma Loxxess nach Geretsried gehört hat, sagt Christian von Stülpnagel, Vorsitzender der Unternehmervereinigung Wirtschaftsraum Wolfratshausen (UWW). Für Wolfratshausen sei dies nämlich ein großer Verlust, wenn solche Firmen nicht gehalten werden könnten, erklärt der UWW-Vorsitzende. Die Entscheidung von Loxxess mache deutlich, dass Wolfratshausen Firmen, die wachsen, derzeit keinen Platz mehr bieten könne.

Bürgermeister Heilinglechner verweist auch darauf und ordnet den Mangel historisch ein. Es sei ein Fehler der Stadtväter gewesen, zur Zeit der Gebietsreform Weiler wie Gelting zu ignorieren - nach dem Motto: "Was wollen wir mit den Kuhdörfern?" Als die Firma Loxxess mit ihren Expansionsplänen auf die Stadt zukam, habe es nur eines Gesprächs bedurft, um festzustellen: 22 000 bis 25 000 Quadratmeter? "So eine Fläche können wir einfach nicht stellen", erklärt Bürgermeister Heilinglechner. Das bestätigt auch Loxxess-Geschäftsführer Helmut Müller-Neumayr: "Wir haben frühzeitig bei der Stadt angefragt, aber es gab und gibt schlichtweg keine Flächen in der Größe."

Unternehmervertreter Stülpnagel sieht durchaus aktuellere Versäumnisse in der Stadtpolitik als Ursache. "Dass die Stadt verstärkt auf Wohnungsbau gesetzt hat und nicht zunächst auf Gewerbeansiedlung, weil das alles Weitere ganz von alleine nach sich zieht, rächt sich jetzt", kommentiert er. Zwar habe Wolfratshausen gegenüber von Waldram noch Gebiete, die sich für Gewerbeansiedlung eigneten, "doch da hat der Stadtrat ja beschlossen, diese für die kommende Generation zu bewahren", bedauert er. Dass es zur Abwanderung in die Nachbarkommune kommt, liege nach Ansicht von Stülpnagel auch darin begründet, dass es Wolfratshausen versäumt habe, einen Wirtschaftsförderer einzusetzen. "Der hätte Kontakt zu den Betrieben, wüsste, wo der Schuh drückt und könnte so die Weichen richtig stellen."

Wo das hinführen kann? Die Rahmendaten eines Städtevergleichs zeigen statistisch schon heute, dass Geretsried noch lange mehr Luft für Arbeitsplätze und Zuzüge haben wird, die Einwohnerdichte liegt gerade einmal halb so hoch. Der Bevölkerungs- und Stellenzuwachs war in den vergangenen Jahren schon messbar und dürfte sich in Anbetracht der Geretsrieder Pläne fortsetzen. Der Wolfratshauser Heilinglechner will sich darum auch "dem Wettbewerb stellen", wie er sagt. Der Flächennutzungsplan stehe zur Überarbeitung an: Wolle die Stadt Wohnungen schaffen oder Stellen? "Wir haben genügend Gewerbeanfragen", sagt Heilinglechner. "So ist es nicht."

Stülpnagel ist allerdings froh, dass der Dienstleister für die Pharmaindustrie zumindest in der Region bleibt: "Das zeigt, dass der Standort an sich attraktiv ist", sagt er. Auch für die Mitarbeiter sei dies eine gute Lösung. Letztlich sollten die Städte nicht versuchen, sich gegenseitig ausspielen, wenn es um die Ansiedelung von Gewerbe gehe, "auch wenn Konkurrenz das Geschäft belebt." Zwar müsse Wolfratshausen dringend zusehen, selbst Flächen für wachsendes Gewerbe auszuweisen, langfristig aber sei klar, dass keiner ohne den anderen könne: "Wolfratshausen und Geretsried wachsen zusammen, das wird die Basis für eine gute Zukunft der Region werden."

Auch Geretsrieds Bürgermeister Michael Müller (CSU) sieht im Umzug von Loxxess ein Beispiel für die Stärkung eines künftigen Mittelzentrums und betont, keine Konkurrenz zur Nachbarkommune zu sein - zumindest nicht langfristig. "Wir dürfen nicht in kirchturmpolitische Strukturen verfallen und denken wie Konkurrenten zwischen den Städten, sondern müssen die größeren Zusammenhänge sehen und vernetzt agieren", sagt er. "Es wäre viel schlimmer, wenn das Unternehmen komplett aus der Region gehen würde. So bleiben die Arbeitsplätze erhalten", sagt Müller. Jede Kommune bringe eben ihre Standortfaktoren mit sich, "und wir können alle nur profitieren, wenn wir die in einen Topf werfen und die Potenziale gemeinschaftlich nutzen." Die Grenzen zwischen Geretsried und Wolfratshausen seien laut Müller in der Wahrnehmung vieler Bürger sowieso längst verschwommen.

Sein Kollege Heilinglechner gibt ihm dennoch einen Seitenhieb mit auf den Weg: "Die schönere Stadt bleibt Wolfratshausen trotzdem."

© SZ vom 19.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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