Freispruch:Ungereimtheiten vor Gericht

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Ein in Wolfratshausen wegen Körperverletzung verurteilter 25-Jähriger wird in höherer Instanz freigesprochen. Das Opfer war bei der Tat betrunken, trotzdem nahm ihm der ermittelnde Polizeibeamte seine Aussage ab.

Von Andreas Salch, Geretsried

Solche Gerichtsverfahren gibt es nicht oft: Ein Polizeibeamter aus Geretsried, der als Zeuge aussagt, bezeichnet einen 25-Jährigen, der mit knapp 1,5 Promille Alkohol im Blut völlig betrunken ist, als "klar orientiert". Der vermeintlich klar orientierte junge Mann aus Gräfelfing wurde im März 2013 in einer Geretsrieder Diskothek ohne ersichtlichen Grund von einem anderen Gast niedergeschlagen und getreten. Eine Stunde nach der Tat bezichtigte der Gräfelfinger gegenüber dem selben Polizisten einen Gleichaltrigen als Täter. Der Polizeibeamte glaubte dem Opfer. Immerhin habe es den mutmaßlichen Täter, trotz der erheblichen Alkoholisierung "zielstrebig" identifiziert.

Doch dies ist beileibe nicht das einzige, was stutzig macht an diesem an Merkwürdigkeiten reichen Fall. Der 25-jährige Gräfelfinger musste später nicht einmal in dem Strafverfahren gegen Andreas S. vor dem Wolfratshauser Amtsgericht als Geschädigter aussagen, da er nach Australien verreist war. Der zuständige Richter sah darin kein Problem. Er zog die Hauptverhandlung gegen Andreas S. Anfang vergangenen Jahres durch und verurteilte ihn wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer empfindlichen Geldstrafe in Höhe von 3750 Euro. Andreas S. legte vor dem Landgericht München II Berufung gegen die Entscheidung des Amtsgerichts ein - und wurde freigesprochen.

Für den Geretsrieder Polizisten, der die Ermittlungen gegen Andreas S. führte, stand offenbar schnell fest, dass er derjenige war, der den Gräfelfinger in den frühen Morgenstunden des 16. März 2013 in einer Diskothek in der Adalbert-Stifter-Straße niedergeschlagen hatte. Nicht nur wegen der "zielstrebigen Identifizierung" durch das betrunkene Opfer. Als er S. eröffnete, so der Polizist, dass es einen Zeugen gebe, der gesehen habe, wie er zuschlug, habe dieser sich "ziemlich sicher gefühlt, dass man ihm nichts nachweisen kann". Diese Aussage, so der Polizeibeamte vor dem Landgericht München II, habe ihn schon ein "wenig verwundert".

Anders als vor dem Amtsgericht Wolfratshausen musste der Gräfelfinger in der Berufungsverhandlung am Montag nun doch aussagen. Dabei räumte er ein, dass er den Täter nur "aus dem Augenwinkel" gesehen habe. "Aus dem Augenwinkel", fragte Richterin Sabine Klemt und sagte, es sei schon "kühn" zu behaupten, man könne jemanden identifizieren, obwohl man ihn nur aus dem Augenwinkel wahrgenommen habe. Außerdem war es in der Diskothek recht dunkel, und von der Decke blitzten Strahler in den verschiedensten Farben.

Ob er das Gesicht des Angeklagten nun erkannt habe oder nicht, will die Richterin wissen. Die Antwort des Gräfelfingers lautete: "Das Gesicht habe ich nicht wirklich erkannt." Richterin Klemt rang sichtlich um Fassung. "Was glauben Sie, was hier angezettelt wurde?", fragte sie den Gräfelfinger. In diesem Augenblick sprang dem Zeugen die Staatsanwältin zur Seite. Sie blieb bis zuletzt von der "zielstrebigen Identifizierung" durch das betrunkene Opfer überzeugt. Dass das Urteil des Amtsgerichts in Ordnung sei, hatte sie dem Verteidiger von Andreas S., Rechtsanwalt Berthold Braunger, schon vor Beginn der Verhandlung vor dem Landgericht mitgeteilt. In etwas süffisantem Ton sagte die Sitzungsvertreterin, dass der Wolfratshauser Amtsrichter ein "guter Richter" sei, "der macht das schon richtig". Gegen drei Entlastungszeugen hat die Staatsanwältin überdies jeweils ein Verfahren wegen Falschaussage eingeleitet. Einer von ihnen will sogar den tatsächlichen Täter beobachtet haben. "Es gibt keinen sicheren Täternachweis", erklärte Richterin Klemt bei der Urteilsbegründung und stellte fest, dass sich niemand allein dadurch verdächtig mache, wenn er zu einem Polizisten sage, man könne ihm nichts nachweisen.

© SZ vom 13.01.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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