Geretsried:Frauengeheimsprache

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"Frauen erhebt eure Stimmen": Barbara Lexa (rechts) führt im Gasthaus Geiger Interessierte in die Kunst des Jodelns ein. (Foto: Hartmut Pöstges)

Beim Jodel-Workshop mit Barbara Lexa entdecken Teilnehmerinnen ihre Brust- und Kopfstimme - und eine uralte Kommunikationsform der Almerinnen

Von Pia Ratzesberger, Geretsried

Auf den Wiesen liegt noch eine feine Schicht Schnee an diesem Tag, es regnet und der Wind weht rau, doch im Gasthof Geiger lässt man sich davon nicht beirren und besingt den blauen Himmel, lobt die satten gelben Felder. Die Mundartkünstlerin Barbara Lexa hat im Rahmen der Geretsrieder Kulturtage zum Jodelkurs geladen, nur für Frauen - was nicht mehr allzu sehr verwundert, wenn Lexa erzählt, wer das Jodeln in Oberbayern überhaupt begründet hat. Die Frauen nämlich seien es gewesen, die ledigen, ohne Verpflichtungen im Haushalt, die einst auf die Almen geschickt wurden - und sich dort mit Hilfe des Jodelns über weite Entfernungen hinweg verständigten.

Jodeln, das stellt die Wolfratshauserin Lexa gleich zu Beginn klar, war damals ein Kommunikationsmittel, so hat man sich Nachrichten überbracht, als es noch kein Telefon gab, geschweige denn Internet. Die sieben Frauen aber, die am Sonntag in die Stube des Gasthofs in der Tattenkofener Straße gekommen sind, wollen schlichtweg eine neue Form des Gesangs ausprobieren. Einige von ihnen singen bereits in Chören, andere am liebsten für sich. Sie alle legen jetzt die Hände auf die Brust, sollen den Unterschied zwischen Kopf- und Bruststimme spüren, während sie die Stimmbänder erwärmen. Barbara Lexa hebt den Arm, deutet zum Fenster und sagt: "Schreit mal alle so, als würdet ihr dort draußen gerade einen Fahrraddieb sehen."

Ein tiefes "Heee" schallt durch den Raum, die Bruststimmen vibrieren, Lexa lobt. Entscheidend für das Jodeln ist ihr zufolge der Wechsel zwischen Brust- und Kopfstimme, der Jodelschlag. Lexa hebt die Ziehharmonika auf den Schoß, eine gestickte Blume ziert ihre Weste, die braunen Ponysträhnen fallen in die Stirn. Schon nach kurzer Zeit stimmt die Gruppe Frauen in ihren ersten "Übungsjodler" ein - draußen am Fenster, von den meisten unbemerkt, drückt ein Mann sein Ohr gegen die Scheibe und lauscht.

Vor etwa 150 Jahren, erzählt Lexa, entdeckten die Männer die Jodelgesänge schließlich für sich, wollten im Wirtshaus singen, was sie von den Almen vernahmen. Von da an sei das Jodeln lange zu einer Männerdomäne verkommen, viele Texte aus Oberbayern enthielten Zweideutigkeiten, die nur verstehe, wer eingeweiht sei. Die Gruppe blättert im Liedbuch, in einer Strophe ist davon die Rede, dass der Mann die Zwetschgen vom Baum holt. "Das steht in diesem Zusammenhang für eine Entjungferung" erklärt die Jodellehrerin, bei manchen Kursen mit Männern und Frauen hätten solche Lieder deshalb schon zu vieldeutigen Lachern geführt.

Weil die klassischen Jodelsequenzen eben oftmals solch sexuelle Anspielungen beinhalteten, stellt Lexa gerade deshalb auch moderne Jodler vor. Die Texte sind dann zum Beispiel aus tibetanischem Liedgut übersetzt, Jodeln sei nämlich nicht allein etwas Bayerisches, wie viele bis heute glaubten. Nein, auch in Hawaii etwa kenne man solche Gesänge, auch in Georgien, China oder Lappland habe man sich mit deren Hilfe verständigt - natürlich stets in anderen Sprachen und Dialekten, eine Art einheitliche Jodelsprache, die gab es nie.

Die Frauen sind begeistert, sie heben ihre Stimme, mancher Fuß wippt im Takt. Für Jüngere allerdings scheint das Jodeln nicht von Interesse zu sein, zumindest nicht an diesem Wochenende, in Geretsried und Umgebung - keine der Teilnehmerinnen ist unter 50 Jahren alt. Vielleicht liegt es aber auch am Sonntag. Oder dem vielen Regen.

© SZ vom 01.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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